Gedichte der fiktiven Figur Klara Sonnenschein aus dem ebenfalls fiktiven Gedichtband Haikus in meine Haut geritzt aus meinem Roman Chronik einer fröhlichen Verschwörung. Jedem Kapitel ist ein Aphorismus oder ein Gedicht von ihr vorangestellt.
Konsumenten-Demokratie
Was die Makler des Geistes nicht verstehen,
stellen sie nicht in ihr Sortiment.
So wird’s, als wär’s nie geschehen,
für immer aus dem Sinn gebannt.
Denn wie kann es auch etwas geben
jenseits von ihrem Horizont?
Markieren sie nicht im geistigen Leben
alles Erdenklichen feile Front?
Würden diese Pillendreher nicht existieren,
diese Mistkäfer der Verwertung,
wer würde die Welt für uns portionieren?
Dankend fressen wir ihren Dung.
Denn nur was sich verkauft, das darf sein,
zu Recht scheidet Sperriges aus.
So brennt man auch uns das Warenzeichen ein,
unser Gehorsam eilt ihnen voraus.
So werden auch wir wie die Waren,
zu der sie die Welt konfektioniert.
Nichts in uns bleibt vom einst Wunderbaren,
das von ihnen nicht approbiert.
Selbst Revolte dagegen wird nur mehr verstanden
in genormten Phrasen und Schablonen.
Bei Giftmischern wird das Gegengift erstanden,
alles ist möglich, es muss sich nur lohnen.
Die Makler des Geistes, sie regeln ein Angebot,
für das zuvor keine Nachfrage bestand,
doch sobald der Geist den Maklern droht,
jagen die Käufer ihn selbst aus dem Land
Ich hab’ keine Allmachtsphantasie. Ich bin allmächtig.
Mit einem hungrigen Tornado bin ich trächtig,
der wird alles, was mir Böses tat, in Atome zerwirbeln
Aus Mutterstolz werd’ ich meinen Bart dann zwirbeln.
An alle, die ich niemals liebte
Die dümmste lyrische Allegorie
Beklagt die einsamen Planeten
Sie fänden einander nie
Weil sie nie aus ihren Bahnen träten.
Darauf frag ich prompt:
Was kann ihnen Besseres passieren?
Was einander nie in die Quere kommt,
das – glaubt mir – kann nicht kollidieren.
Klassenkampf
Ein Kommunist
sagte mir heute
durch die Blume,
dass seine Genossen
vergast worden seien,
weil sie die Welt
verändern wollten.
Hingegen wir, die Juden,
bloß, weil wir Juden waren.
Das führt mich zu dem Schluss,
dass auch den Märtyrertod
wir uns nur ergaunert haben.
Aber so sind wir eben.
Quod erat demonstrandum.
Geseufzte Namen
Wie Löwenzahnsamen
Durch Spinnenweben
Von hinnen schweben
Ein paar nur bleiben darin zurück
Tautröpfchen geht über vor Glück
Ein großzügiges Angebot
Jetzt schlag schon ein,
sei kein Spielverderber,
Jude
Der Herr Leutnant im Ruhestand
ist nicht stets bei so generöser
Laune
Er ist bereit zu vergessen,
dass du ein Hund warst und er
ein Herr
In die Zukunft müssen wir blicken,
wen schert, was vor
Sekunden war
Er weiß doch, wie du nackt aussiehst.
Schafft das nicht
Intimität?
Eine Firma will er gründen,
wo nicht Rasse, sondern wo nur
Leistung zählt
Wenn du vergisst, dass seine
groben Mörderhände
schmutzig sind
Will er im Gegenzug vergessen,
dass du der Schmutz warst,
der sie schwärzte
Drum schlag schon ein, Jude
sei kein Spielverderber oder
wir schlagen andere Töne an.
Ich spiele mit dir, sagst du,
Wie der Wind mit einem Herbstblatt spielt.
Als Wind kann ich nur entgegnen:
Ich hab dich bloß auf ein Tänzchen entführt.
Dich im freien Falle
Aus deiner Zeitlichkeit geblasen.
Der Sonne sachte
Zum letzten Küsschen dargeboten.
Andere Blätter beneideten dich,
Die senkrecht auf ihre modrige Zukunft fielen.
Ich bin nicht schuld an deinem Fall
Weil ich das letzte war, was du spürtest.
An die Mutter
Wenn Mutter nicht wär
Dann wär ich auch nicht
Wenn Vater nicht wär
Wär ich vielleicht doch
Wenn ich nicht wär
Wär Mutter trotzdem
Dennoch sag ich Dank dir
Nimm sie nie, wie sie sind
Man sagte mir,
man müsse die Menschen nehmen,
wie sie sind.
Als sie verlernten, zu träumen,
nahm ich sie, wie sie waren.
Als sie verlernten, zu denken,
nahm ich sie wie sie waren.
Als sie verlernten, zu fühlen,
nahm ich sie, wie sie waren.
Aber dann nahmen sie mich,
wie ich bin, an meinem Fell,
das sie mir über die Ohren zogen.
Gesunder und kranker Sarkasmus
Klara ist nur so sarkastisch,
hör ich’s hinter mir tuscheln,
weil man ihr die Kindheit nahm.
Nein, ich bin so sarkastisch,
weil meinen Sarkasmus man stets
auf meine Zerstörung runterbricht.
Und mir die Möglichkeit nimmt,
der Welt zu beweisen, dass ich
auch ohne diese Zerstörung
so wäre.
Heimatfilm
Jeder Jodler ein
Triumphschrei
Üüer das Jäten artfremden Krautes
Der Filou aus der Stadt im Cabrio,
der Förster, der auf uns schoss.
Für den die heufrische Gebärmagd
sich doch entscheidet am Schluss.
Sie verzeihen einander und zechen,
verzeihen auch uns,
solang wir die Sommerfrische blechen.
Dass wir lebten und es noch immer tun,
das verzeihen sie uns nie.
Jedes Alpenglühn
das Spiegelbild
des Glosens unsrer Knochen.
Rosenpoesie
Es gibt lyrische Bilder
Die nutzen sich nie ab
Man verzeiht ihnen die Phrase
Weil sie überzeugend sind.
So zum Beispiel von den Männern
Die unsre Rosen pflückten
Aber die Dornen uns beließen.
Bei mir war’s umgekehrt:
Man knickte mir die Dornen
Und ließ mit wehrloser Blüte
Mich zurück.
die realität machte uns angst,
wir entflochten sie
und sperrten ihre elemente in einzelzellen
wo sie voneinander isoliert
in hungerstreik traten
diese zellen nannten wir fortan begriffe
und jede mumie darin das begriffene
Survival of the fittest
Hut ab, Hut ab
Wat de Juden
Da dort unten
Aus der heißen Wüste
Mit beinah
Teutonisch
Manneszucht
Und Arschdisziplin
Für ollen
Staat
Rausgemeißelt haben
Dat verdanken se
Doch, ich will
Mich nicht zu
Sehr rühmen
Aber doch auch
Bittesehr
Dat gehört gesacht
Dem Unstande
Nicht?
Dat wir ihnen
Ordentlich
Auf die Sprünge geholfen
Haben.
Oder?