Roman
Drava 2020
Nach Jahrzehnten des Exils kehrt der Politologe und Sozialarbeiter Ahmet Arslan in sein Heimatdorf in die kurdische Provinz Dersim in Ostanatolien zurück, um noch ein Mal seine Mutter zu sehen. In seiner Jugend war er im politischen Widerstand gewesen, war gefoltert und eingesperrt worden.
Im Überlandbus nach Osten berührt sich seine Geschichte mit den Geschichten anderer Passagiere. Einer jungen Frau, die in Istanbul abgetrieben hat, eines Rekruten auf seinem Weg zur „Terrorismusbekämpfung“, einer Geschäftsfrau, einer Neureligiösen mit Drogenvergangenheit und eines deutschen Reiseschriftstellers, der sich das Leben nehmen will. Im Laderaum reist in einem Sarg zwischen Koffern auch eine tote Frau mit, die in ihrem Dorf beerdigt werden soll. Reflexionen, innere Monologe, Rückblicke und Gespräche begleiten diese Busreise im Frühling 2008, als sich das AKP-System noch den Anstrich von Demokratie und postkemalistischem Aufbruch gab.
Zurück im Dorf zerbrechen Ahmet Arslans Gewissheiten nicht nur an der Gegenwart, sondern auch an der – verklärten – Vergangenheit. Der lange schwelende Konflikt mit seinem Bruder eskaliert, eine zerstreute Schar verfolgter PKK-Kämpfer und -Kämpferinnen taucht auf, und doch gelingt die beglückende Reise zurück in die Kindheit, ehe sie ein abruptes Ende findet …
Der Roman schließt mit einer Tiergeschichte, der Erzählung über die Liebe zweier Esel.
Reaktionen & Rezensionen
Kraft einer Einsicht und Menschenkenntnis, wie sie nur die Literatur kennt, ist Richard Schuberth ein politischer Roman gelungen, in welchem er die historischen und soziologischen Wechselfälle und Transformationen eines ganzen Landes sowohl durch seine Protagonisten als auch ein dramatisches Hintergrundszenario meisterhaft und mit stiller Ironie abbildet.
Ahmet Tulgar
Verdammt, was die Musik dieses Saz-Spielers in in wenigen Minuten alles in dir ausgelöst hat … Du stehst auf und willst den Namen dieses Künstlers wissen. Der Wirt sagt: Er heißt Richard Schuberth. Und ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Schuberth spielt mit feinem Gefühl und verblüffender Menschenkenntnis Musik auf Saz und Kemenche so, dass neben ihm einige unsere legendären Saitenschwinger ganz schön alt aussehen. Alle werden durch den Kakao gezogen, auch der Autor selbst. Man muss nicht allzu viel Weitblick besitzen um zu erkennen, dass dieser Roman universell ist und aktueller denn je.
Ibrahim Amir
Richard Schuberth ist mit allen Wassern des Storytellings gewaschen. Und man spürt die pointierte Feder des Satirikers. Raffiniert und effektvoll verschränkt er die verschiedenen Fäden. (…) »Bus nach Bingöl« ist ein spannendes, leicht zu lesendes, intensives Buch, in dem man einiges über die Türkei, über Ideale und Neurosen von Minderheiten, über die Sehnsucht nach Heimat und das Finden und Erfinden von Identitäten erfahren kann.
Angelika Overath, F.A.Z.
Und Schuberth geht mit seinem Roman wohl mit Bedacht an einen Ort, der geradezu als paradigmatisch transnational erscheint, oder besser vielleicht sogar: vornational. »Bus nach Bingöl« durchquert also nicht nur eine Landschaft, sondern auch die Moderne in ihrer ganzen Spannung.
Bert Rebhandl, Standard
Richard Schuberth nimmt die Lesenden mit auf eine spannende Reise zwischen den Kulturen und politischen Positionen.
Bärbel Danneberg, Volksstimme
Grandios gelingt dem Wiener Autor Richard Schuberth die empathische Typenzeichnung, die authentische Beschreibung des Landes und die stetig an Tempo zulegende Dramatik der Erzählung, die ein »tierisches« Ende findet.
ORF.at
Neben all diesen diskursiven und echten Battles findet der Roman noch genug Platz für Humor, vor allem in Arslans Abrechnung mit den gar nicht so unrassistischen Objektivierungen der Wiener Ausländerfreunde: »Die weißen Idioten wollten ihm eine Stimme geben, aber die seine nicht.« Aber auch Platz für das Erzählerische, zum Beispiel in der gleichnishaften Außenseiterstory, mit der das Buch charmant ausklingt, der Liebesgeschichte zweier hässlicher Esel, die ihr Schicksal sozusagen in die eigenen Hufe nehmen. »Bus nach Bingöl« ist jedenfalls bestens geeignet, sich eine Fatwa seitens identitärer Sittenwächter von linker wie rechter Seite einzufangen.
Kübra Arasoy, konkret (zur Rezension hier)
Denn hier wird tatsächlich Politik literarisiert. Hier brechen reales Erlebnis und soziale Analyse in die literarische Wirklichkeit ein, oder umgekehrt: die Literatur bricht aus ihrem Korsett der Künstlichkeit und Selbstreferenzialität aus. So entsteht künstlerische und politische Reibung zugleich. Das macht diesen Roman zu einem so spannenden Produkt seiner Zeit. Und zu einem großen Vergnügen.
Elena Messner, Textland (zur Rezension hier)
Richard Schuberth tänzelt trittsicher zwischen magischem und Hyperrealismus, zwischen auktorialem und multiperspektivischem Erzählen, zwischen bissiger Ironie und Empathie. Und beherrscht die große Kunst der Provokation. Zum Beispiel die unserer Vorstellungen vom Fremden und Anderen. Sein Dorf entpuppt sich nicht als exotische Peripherie, sondern globaler Ort, der sich unserer Flucht vor der Wirklichkeit verwehrt.
Gérard Turbanisch, ANF News
»Bus nach Bingöl« liest sich wie eine soziologisch präzise Schilderung der gesellschaftlichen und politischen Situation der Türkei in den späten Nullerjahren – mit subjektiv gebrochenen historischen Rückblenden. Diese Sittengeschichte – und das erinnert mich an die großen französischen Realisten des 19. Jahrhunderts, Balzac und Flaubert – ist aber poetisch verdichtet. Durch den souverän verspielten Umgang mit Sprache. Und weil an entscheidenden Stellen des Romans die Realität des Alltags der halluzinatorischen Realität der (Tag)träume weicht. (…) Der Roman atmet den Geist des politischen Engagements. Ohne aber dem, was man den Geist des Romans nennen könnte, untreu zu werden, der sich, mit Milan Kundera zu sprechen, »einfachen Antworten, die der Frage vorausgehen, verweigert» und »weder Anna noch Karenin Recht gibt«.
In seinem Roman schildert Richard Schubert(h) eindringlich, wie verworren manche Feind- und auch Freundschaften sind. Wie naiv europäische Intellektuelle die Lage beurteilen. Und wie brutal Abweichler oder angebliche Aktivisten von Polizisten oder Grenzsoldaten misshandelt werden.
Hans-Dieter Grünefeld, Buchwelt
Die feine Linie zwischen Leben und Tod ist – neben den Demarkationslinien zwischen türkischer und kurdischer Identität, Wien und Dersim, Stadt und Land – zentral in Schuberths Roman. Im Laderaum des Busses nach Bingöl ist ein Sarg verstaut; Mord- und Selbstmordfantasien lösen sich in der Dämmerung auf, die vor den Fenstern auf die Bergkämme steigt.
Jana Volkmann, Tagebuch
Wer eine schöne Reise in Zeiten der Corona in dieses Land tun möchte, sollte das Buch von Richard Schuberth lesen. Sogar den Hüseyin führt er in eine Welt, die er zu kennen glaubte. Die Feinheit von Schuberths Sprache lässt dem Hüseyin die Ereignisse im Buch wie ein Filmstreifen in seiner 40-Quadratmeter-Wohnung vorführen.
Mehmet Emir, Die Abenteuer des Herrn Hüseyin
Begegnungen seiner Romanfigur mit den Menschen, ihm bekannten und ihm bislang unbekannten, und mit der Landschaft um sie herum zeichnet der Autor in farbigen Bildern und in blassen, mit feinem Strich und mit grobem, je nach Situation und Bedarf. Glücksgefühle und Enttäuschungen halten sich die Waage, Konflikte, Diskussionen und Erotik spielen ebenso eine Rolle wie die einstige und jetzige politische Lage der Kurd_innen in der Türkei. (…) Eine der brillantesten Passagen dieses brillanten Romans konfrontiert den Protagonisten – kurz vor dem bitteren Ende – mit der erfrischenden Radikalität jugendlicher Aktivist_innen.
Andreas Fellinger, Augustin
Der Roman hat großartige Passagen, wie die Liebesgeschichte zweier Esel oder der Kampf auf Leben und Tod, den zwei Frauen während der Fahrt miteinander austragen. Und man erfährt, welches Klima der Angst und des Terrors in ›befriedeten‹ kurdischen Gebieten herrscht.
Konstantin Kaiser, Zwischenwelten
Ein Stück Lebensgeschichte, die uns, obwohl viele solcher »Arslans« bei uns leben, fremd geblieben ist. Dieses Buch wirkt wie ein Fenster zum Verständnis.
alpha, Frauen für die Zukunft
»Bus nach Bingöl« ist ein hingebungsvoll entworfenes Porträt einer Region, die nie existierte.
Julius Handl, Literaturhaus
Es ist vielleicht ein neues Genre, das sich historischen und rezenten Themen der KurdInnen in einer neuen schriftstellerischen Form widmet, von denen es erst ganz wenige Beispiele gibt. Richard Schuberth, gelernter Sozialanthropologe und praktizierender Schriftsteller, der stets heiße Themen unserer Zeit anfasst, wie beispielsweise Identitätsdiskurse, die EU-Außengrenzen und die Rolle von Frontex etc. hat mit diesem Roman nicht alleine die Situation der DersimerInnen, die ins Exil gingen, detailreich und mit viel Hintergrundwissen nachvollziehbar dargestellt, wobei auch immer wieder sein ethnographischer Blick und eine dichte Beschreibung hervorstechen. (…) Dies ist ein Wissen, das ein Autor/eine Autorin sich weder anlesen kann, noch in kurzfristigeren ethnographischen Studien erheben kann. Es ist das Ergebnis von langen Beziehungen, von Diskussionen, von der Beobachtung politischer Diskurse etc. und vor allem das Ergebnis eines Interesses an und der Nähe zu den Menschen, deren Lebensherausforderungen er in diesem Roman darstellt. (…) Richard Schuberth hat mit dem Werk eine Darstellungsform vorgelegt, die formal einem politischen Roman entspricht, aber auch weit darüber hinausgeht
Marianne Six-Hohenbalken, Wiener Jahrbuch für Kurdische Studien 2021
Was humorvoll anfing, verzettelt sich leider in Aufklärung des Kurdenproblems.
Literaturblog Sabine Ibing