Aphorismen

Klever Verlag 2014

 

Verlagstext:

»Hundert Jahre nach Verschwinden von Ambrose Bierce, dem Verfasser des Devil’s Dictionary, in den Wirren der Mexikanischen Revolution bringt Richard Schuberth sein Neues Wörterbuch des Teufels heraus – und weckt die literarische Form des Aphorismus mit seinen Miniaturgemeinheiten zum Andenken gegen die Gemeinheit der Welt aus ihrem Schönheitsschlaf.

Ein aphoristisches Lexikon mit zwei Essays zu Ambrose Bierce und Karl Kraus sowie aphoristischen Reflexionen zum Aphorismus selbst.

Das Cover wurde vom Autor gezeichnet.«

Bei meinen Lesungen aus dem Wörterbuch ließ ich mich jeweils von Franz Hautzinger, Andrej Prozorov und Matthias Loibner begleiten.

Link zum Verlag

 

 

Reaktionen & Rezensionen

 

 

Eine Sammlung tiefgründiger Geistesblitze, ironischer Kommentare, poetischer Notizen und bitterböser Kalauer legt Richard Schuberth mit seinem „Neuen Wörterbuch des Teufels“ vor. Zwischen den letzten Dingen des Lebens und Momentaufnahmen aus dem Alltag kreisen die Inhalte der nach Stichworten von A wie »Abgehobenheit« bis Z wie »Zyste« geordneten 718 Aphorismen, soziale und politische Missstände sind ebenso Thema wie menschliche Sitten und Charaktereigenschaften. Angefügt sind drei Aufsätze, die als Anfang einer neuen literarischen Urteilsfindung zur Kunst des Aphorismus gelten können.

ORF online

 

Man kann viele dieser Bosheiten durchaus auf sich und nicht bloß auf die Nachbarn beziehen. Nur manchmal möchte man nicht mitgehen oder -denken – was sicher mit eigenen Vorlieben zu tun hat. Besteht Rock ‘n’ Roll wirklich vor allem aus dem Wunsch, Beethoven zu überfahren (siehe unter: Roll over …)? Und hat Notwehr nur mit dem Erschlagen von Außenseitern zu tun? Es sind aber genau solche Übertreibungen, die den Leser dazu herausfordern, bei jeder Definition genau abzuwägen: Was ist dran? Wieso lese ich das nirgendwo sonst? Hat Schuberth womöglich recht?

Er hat, meistens. Dabei scheint es ihm, ähnlich wie Kraus und Bierce, auf autokratische Weise egal zu sein, ob er mit seinen Volltreffern und seinen gelegentlichen Schüssen am Ziel vorbei den Beifall der Öffentlichkeit findet. Darum ist er bis heute kein Publikumsliebling feuilletonistischer Schaukämpfe. Aber genau deswegen sollte man ihn genau lesen.

Michael Freund, Der Standard

 

Richard Schuberth versammelt in seinem Band »Das neue Wörterbuch des Teufels« nicht nur die gesammelten – gezählten 718 – aphoristischen Anstrengungen einiger Jahre, die sich allerdings nicht wie solche lesen, sondern wie geglückte Momente der Inspiration, die sich dank konvenabler Umstände in Papier gefallen. Diesen – in geschliffener, aber nicht abgegriffener Sprache geschriebenen – Kleinoden sind drei äußerst lesenswerte Aufsätze angefügt.

Claus Harringer, Versorgerin

 

Richard Schuberth hat noch etliches Schmackhafte mehr, sozusagen al dente, zu bieten. Augenmerk möchte ich aber auch und besonders auf seine eloquenten essayistischen Betrachtungen zu Bierce, Kraus & Co. sowie auf den umfangreichen Aufsatz »Schaum und Blasen« lenken, in dem er (…) selbstbespiegelnd an die eigenen Wurzeln und die Charakteristik des Aphorismus schlechthin geht. Höchst lesenswert.

Robert Sernatini, Musenblätter

 

Die alphabetisch gereihten Einträge sind entwaffnende Analysen des Facebook-, Wellness,- und Celebrity-Zeitgeists. Gleichzeitig klären sie aber auch innen- und außenpolitische Themen wie »Europa«, »Entwicklungshilfe« und »Ethnie« zynischer und damit wahrer, als es jede wissenschaftliche oder journalistische Schreibe je könnte. Schuberths Witz ist pointiert und gegen jede Kritik süffisant erhaben, ganz wie es sich für einen Meister des Metiers gehört.

Olja Alvir, dastandart.at

 

 

Auszüge

 

 

Allwissender Erzähler: Der Buhmann der belletristischen Literatur, weil er der Leserschaft keinen Raum für die Phantasie lässt, die sie nicht mehr besitzt.


Aphorismus: Physiotherapie zur Heilung von geistigen Haltungsschäden. Wie ein Schmetterling umflattert der Aphorismus den Erkenntnisapparat des Menschen und foppt dessen starre Haltungen, Standpunkte und Positionen. Diesem gelingt es zwar nicht, des Schmetterlings habhaft zu werden, beim Versuch aber wird er geistig flexibler.


Armutsbekämpfung: Brot für die Armen, damit sie uns den Kuchen nicht wegessen.


Arschloch: Tunnel, in den die Karriereleiter führt und an dessen Ende es kein Licht gibt.


ausgeglichen: Eigenschaft, welche den Verlust der Eigenschaften anzeigt; das Glätten aller Verwerfungen, Widerstände und Buckel unseres Bewusstseins, damit sich der freie Verkehr der Waren und Meinungen ohne Reifenplatzer über uns wälzen kann. Du wirkst viel ausgeglichener als früher – so begrüßen unsere Freunde auch uns dereinst triumphierend im Reich der platten und geplätteten Seelen.


Außenseiter: Jemand, der die Außenseiten unserer Gefängnisse kennt und den wir deshalb nie und nimmer reinlassen dürfen.


Bildungskanon: Kloster, in das man die Wissbegierigen so früh wie möglich von den Abenteuergründen der Erkenntnis und den Blumenwiesen der Weisheit wegsperrt.


Cannabis: Völlig überschätzte Droge, deren Bedenklichkeit allein darin liegt, dass ihre Harm­losigkeit auf ihre User abfärbt. Eine leichte Cannabisvergiftung zeigt sich in blödem Grinsen, eine mittelschwere in grundlosem Kichern, eine schwere jedoch – und ab dann sind bleibende Schäden nicht auszuschließen – im Absondern kalauernder Experimentallyrik.


Celebrity: In buntes Zeitungspapier gewickeltes und blitzlichterhitztes Gammelfleisch, das den kleinen Würstchen die Illusion des unverwursteten Lebens vermitteln soll.


Chancengleichheit: Forderung der Reformpolitik, die Windhunde beim Wettrennen um die Trophäen des Lebens nicht mehr früher als die Schildkröten starten zu lassen.


Cyborg: Mischung aus Mensch und Maschine und erstrebenswertes Vorbild aller Arbeits- und Konsumptionsmaschinen, die sich zwar Menschen nennen, aber, dieser Täuschung insgeheim bewusst, nach den menschlichen Anteilen des Cyborg sehnen.


Dalai Lama: Sympathischer Schelm und Besitzer der weltweit größten Hotelaschenbechersammlung, der das erbliche Amt, die Tibeter zu knechten, vernünftigerweise den Chinesen überließ, um sich ganz seinen privaten Leidenschaften zu widmen: bezahlten Vortragsreisen und dem Sammeln von Hotelaschenbechern, die sich im Garten seiner Villa in Darjeeling schon pagodenweise stapeln sollen. Da er vom Dach der Welt kommt, verehrt ihn diese als Spezialisten für den größten Dachschaden der Welt: die Spiritualität.


Le dernier cri: Das leerste aller Versprechen.


Ehe: Die einzige gesellschaftlich akzeptierte Form der Asexualität.


Einfamilienhaus: Postviktorianisches Spukschloss.


Eltern: Lästige Mitbewohner, die uns ihre Liebe aufdrängen, um damit die unsere zu erzwingen, weil sie sich und einander zu wenig lieben.


Empörung: Der Knallkörper unter den Waffen der Revolte.


Europa:
1. In der Mythologie: eine asiatische Königstochter, die von einem griechischen Stier vergewaltigt wurde.
2. In der Realität: ein Ochse, der versucht, die nichteuropäische Welt zu vergewaltigen, und seinen Nachteil gegenüber den Stieren USA und China mit der Respektierung der Menschenrechte rechtfertigt, auf die er das Copyright beansprucht, weil er es war, an dem diese in Form seiner Kastration erstmals angewandt wurden.


Feste Zweierbeziehung: Die Flucht in ein warmes Nest, um das Fliegen zu verlernen.


Feta: Bulgarischer Schafskäse, auf dessen Verpackung ein türkischer Hirte neben der griechischen Fahne grinst.


Fettleibiger: Ein von Natur aus zu Korpulenz und Übersensibilität neigender Mensch, der sich aus Kummer über das bloß nett gemeinte Attribut fette Sau fettgehungert hat.


Freitod: Ebenso verzweifelte wie mutige letzte Tat derer, die keinen Ausweg mehr fanden; und Beschämung all der Zufriedenen, die nie einen gesucht haben.


Geburt: Die Mutter aller gewaltsamen Delogierungen.


Gemeinschaft: Zusammenrottung von Menschen, die nichts Interessanteres zu teilen haben als eine Identität.


Gesellschaftswissenschaftler: Subalterner Straßenräuber, der Erkenntnisse über die soziale Realität klaut und vor der Öffentlichkeit in seinen Räuberhöhlen, den Akademien, versteckt.


Herrschaftsfreier Diskurs: Kommunikationsethischer Imperativ, der erstmals in der Geschichte der geistigen Auseinandersetzung gewährleisten soll, dass sich die Argumente des eloquenten, sympathischen Großmauls gegen die des klugen Stotterers mit dem fetten Scheitel auf faire Weise durchsetzen.


homophob: Sich seiner eigenen latenten Homosexualität noch nicht bewusst, aber in Gesellschaft von Gleichgearteten bereits neugierig den Körperkontakt mit bekennenden Schwulen suchend, indem man diese zusammenschlägt.


Hypochonder: Jemand, der sich anmaßt, an Krankheiten zu leiden, die sich nicht einmal die Medizin noch eingebildet hat.


Individualität: Jene kurze, aber glückliche Mustang-Phase in der Geschichte der Menschen, als einige von ihnen aus den Ställen von Religion und Kollektivzwang entwischt und noch nicht von den Zureitern der Unterhaltung und des Konsums eingefangen waren.


intellektuell: Bezeichnet die kreative Fähigkeit, um die eigene Trivialität bunte Fassaden aus den Legosteinchen der gehobenen Schulbildung hochzuziehen.


Intimpiercing: Metallene Erkennungsmarke im Genitalbereich, um zumindest dort unverwechselbar zu sein.


Katholik: Christlicher Hedonist, der die Idee der Sünde kultiviert hat, um den Reiz ihrer Übertretung genießen zu können, im Gegensatz zum Protestanten, der das alles ernst nimmt.
Der Katholik hat Spaß an Sex, Mord und Verschwendung, nicht obwohl, sondern weil es ihm seine Religion verbietet, während der Protestant, füchsisch schlau und ochsisch leidenschaftslos, seine Lieblingssünde, das Geldscheffeln, zur Haupttugend gemacht hat und mangels Interesse nichts riskiert bei der Vermeidung der restlichen Sünden.


Konsens: Bett, in das sich die Selbstüberschätzung der Unwissenden mit der Selbstunterschätzung der Wissenden legt, um es auch diesen ordentlich zu besorgen.


Kreuzworträtsel: Geometrisch angelegte Müllhalde des Faktenwissens.


Kruzifix: Christliches Symbol, das Gläubige immer daran gemahnen soll, welches Ende Weltverbesserern blüht.


Kulturhauptstadt: Ein weiteres trauriges Indiz dafür, dass die Menschheit nicht dazulernt: ein Titel, der jedes Jahr einer anderen europäischen Stadt aberkannt wird.


Kurator: Pilzbefall der Kunst.


Kurzweil: Langeweile auf meiner Wellenlänge.


Lebensabschnittspartner: Mensch, der einem ein Stück vom Leben abgeschnitten hat.


Liebeslied: Polyestergefertigtes Lied, das die schönste Sache der Welt besingt und die Seelen der Menschen erwärmt, am meisten die von Mördern, Vergewaltigern und Investmentbankern, die wirklich Liebender aber erstaunlich kalt lässt.


Literaturkritik: Meinungsbildende Instanz, die an ihrem eigenen Maß die Sprachkunst misst, indem sie das Schlechte tadelt, das Gute nicht begreift und das Mittelmaß vergötzt.


Magischer Realismus: Filmgenre, in welchem vorzüglich randständige Menschen mit Poesie­schleim überzogen werden, um sich hernach an deren Wetlook zu begeilen.


Matriarchat: Gesellschaftssystem, in welchem es – im Gegensatz zum Patriarchat – die Mütter sind, die den Söhnen vorschreiben, wie die Töchter am besten auszubeuten seien.


Mauerblümchen: Unscheinbare Pflanze, die sich darum grämt, wieder nicht abgerissen und in einer lieblosen Vase verdorrt zu sein.


Meinungsträger: Schnäppchenjäger beim saisonalen Abverkauf des Bildungsramschs.


Missionar: Altpolynesisches Nationalgericht. Je weniger die Hauptzutat den Sünden des Fleisches erlegen ist, desto besser mundet dieses und umso weniger muss es gebeizt werden.


Missverständnis: Die Ursache jeglicher sozialen Disharmonie als auch ihres Gegenteils.


Mitleidsex: Erniedrigendste Form des Geschlechtsverkehrs, wenn mit anderen, und ehrlichste, wenn mit sich selbst getrieben.


Mitmenschlichkeit: Die wunderbare Selbstlosigkeit, die uns dazu befähigt, im Kannibalenkessel während des Garvorgangs unterzutauchen, um auch die Leidensgenossen unter unseren Füßen ein Weilchen nach Luft schnappen zu lassen. Der mitmenschliche Mitmensch vergisst im Mitmenschlichkeitsrausch jedoch, dass man auch aus dem Kessel kriechen, ihn umwerfen und dem Kannibalen eins vor den Latz knallen könnte. Doch das rangiert auf der Mitmenschlichkeitsskala nicht besonders hoch. Lieber gut, aber gut durchgekocht als ausgekocht, aber gerecht.


Mundgeruch: Morgendlicher Moderdunst, der sich zumeist schon nach dem ersten Jahr einer festen Zweierbeziehung übers gemeinsame Bett breitet und gespenstisch von deren Ende kündet.


Must-have: Das absolute No-go von heute Abend.


Nachwelt: Verehrer verblichener Außenseiter und Missachter der verbleichenden.


Naidoo, Xavier: Der Mann, der deutschem Winterschlussverkauf den Soul wiedergab.


Nationalität: Tierärztliche Marke, an der sich erkennen lässt, in welchem Stall man gehalten wird.


Neoliberalismus: Vorherrschende Wirtschafts-, Denk- und Bewusstseinsform, die auf einer klitzekleinen Modifikation der christlichen ­Escha­tologie beruht: Die Ersten werden die Ersten sein, die Letzten das Letzte.


Nonnen: Bleiche Frauen im Tschador, die allesamt mit einem israelitischen Popstar verhei­ratet sind, der sich schon vor zweitausend Jahren kreuzigen ließ, um nicht die Ehe mit ihnen vollziehen zu müssen.


Nostalgie: Der krankhafte Wunsch, dass alles wieder so werde, wie es noch nie war.
Der Nostalgiker gleicht einem Autofahrer, der sich im Angesicht der Wand, gegen die er gerade prallt, nach der Landschaft auf dem Weg zum Unfallort sehnt, die ihn nie interessiert hat.


Offline: Das Sibirien des Internetzeitalters.


Olivenöl: Die Ursache des langen Lebens der Kreter und des frühen Todes der Spanier.


One-Night-Stand: Im Idealfall: einmaliger Austausch von Körpersäften ohne Austausch von Telefonnummern und Eitelkeiten.


Originalität: Als limited edition auf den Markt geworfene Makulatur der Massenproduktion.


Palästinenserpolitik: Die Trockenerbse in der Agitationsrassel des Antisemitismus.


Penislänge: Die Messlatte männlichen Selbstwerts. In den Augen der Frauen ist die männliche Sorge um die Länge des Schwengels mindestens so lächerlich wie ein zu kurzer.


Plagiat: Mist, der nicht auf dem eigenen Mist gewachsen ist.


Polkappenschmelze: Striptease der Natur, durch den sie sich in grenzenloser Großzügigkeit ihrer unwirtlichen Eisschichten entblößt, um den geschäftstüchtigeren unter den Nationen auch die letzten Vorräte ihrer fossilen Brennstoffe darzubieten.


Populist: Ein notorisch adoleszierender Charismatiker, der den adoleszentesten Teil der Gesellschaft, die sogenannte Mehrheit, verhöhnt, indem er sie ernst nimmt.


Pornoschriftstellerin: Autorin, die den gehobenen Literaturmarkt mit weiblicher Derbheit kitzelt und damit hohe Einkünfte erzielt. Wer aber meint, dass das billige Berechnung sei, hat keine Ahnung von dem hohen Preis, den sie dafür zahlen muss: Exklusivinterviews mit den alternden, notgeilen Chefredakteuren der Kulturressorts.


Positives Denken: Der unerschütterliche Glaube daran, dass das zu drei Vierteln leere Glas halb voll sei.


Posting-Forum: Ort, der von Online-Redaktionen als Agora der diskursiven Demokratie eröffnet und vom Meinungs-Mob gestürmt wurde, wo er alles, was sein Niveau übersteigt, vergewaltigt, wo das Ressentiment grinsend sein Häufchen und die Dummheit dermaßen enthemmt den Vogerltanz macht, als wäre sie je gehemmt worden.


Princip, Gavrilo: Früher Märtyrer der Ökobewegung, der dem Tiermörder Franz Ferdinand das Handwerk legte, ehe der auch das 274 512. Wildtier seiner Jägerlaufbahn massakrieren konnte.


Psychotherapie: Heilung durch übertriebene Beschäftigung mit dem unentwirrbaren Chaos der Seele, indem man ihr eine fiktive Ordnung aufdrängt, an der sich in Hinkunft besser leiden lässt. Dabei ist der Abbau von seelischen Störungen mitunter gefährlicher als der von Erz und Kohle unter Tag. Denn Psychotherapeut und Patient schaben bei der Therapie gemeinsam oberflächliche Neurosen von der Seele, was die gefährlicheren, tiefer sitzenden freisetzt, welche von jenen wie von einem Schutzmantel umschlossen und isoliert waren.


Quargel: Das einzige Lebensmittel, das beim Abverkauf von sich behaupten darf: Ware abgelaufen, aber stinkt noch ordentlich.


reich: Ambitioniert genug, nicht von der Notstandshilfe, sondern von deren Beziehern zu leben.


Rektor: Die einzige Chefposition, deren Titel zugibt, durch welche Kanäle sie erworben wurde.


Running Sushi: Art der Verköstigung, die in ­Japan entwickelt wurde, um die Fließbandarbeiter der großen Industriebetriebe auch in der Mittagspause bei Laune zu halten.


Scheinehe: Die einzige funktionierende Form der Ehe.


Schublade: Endlagerstätte der Werke jener Dichter und Denker, die in keine Schublade passen.


Selbstverwirklichung: Der Versuch von Aquariumsfischen, sich durch Kurse in Hinterglasmalerei über ihr Los hinwegzutäuschen.


Sikh: Ein indischer Zeitungsverkäufer, der den Zeitungsvertrieb betrügt, indem er ein Hundertstel des Betrages, um den der Zeitungsvertrieb ihn betrügt, in Bart und Turban versteckt.


Sodomie: Vergewaltigung eines Lebewesens, das so viel Geschmack besitzt, nie im Leben freiwillig mit einem ins Bett zu gehen. Noch ist der gerechte Volkszorn zu blind, die homosexuelle und pädophile Sodomie härter zu ahnden als Heterosodomie und bei Dackelsex aus Liebe für mildernde Umstände zu plädieren.


Softie: Im Frotteepyjama versteckter Macho, der Frauen a priori verdächtigt, seinesgleichen ohnehin früher oder später mit bekennenden Machos zu betrügen, was er mittels passiver Aggression und emotionaler Erpressung auch stets erreicht.


Spekulantentum: Das böse Geschwür des Kapitalismus, von welchem dieser sich nach jeder Krise durch ethische Notoperationen trennen will und das sofort nachwächst und nichts anderes ist als ein Muttermal, welches seit seiner Geburt seine Fratze ziert.


Standpunkt: Jener Punkt, in den die Standarte der Ignoranz geschlagen wird.


Starkult: Der Beweis, dass mit dem Bedeutungsverlust der Religion das Bedürfnis der Erniedrigten, einzelne Auserwählte (statt sich selbst) zu erhöhen, keineswegs an Bedeutung verloren hat. Die religiöse Notdurft wurde bloß verlagert und wird selbst bei eingestandener Areligiosität nun an jedem Ort verrichtet (auch an heiligen). Vielleicht sollte der Atheismus seine Prämissen neu überdenken: In Anbetracht der übelriechenden Ubiquität magischer Praktiken sowie des Glaubens – des Glaubens an Celebrities, an wissenschaftliche Theorien, an Che Guevara, das Nulldefizit, den freien wie den regulierten freien Markt, die Schul- wie die Alternativmedizin, das Vitamin C, die Facebook-Revolution, das Olivenöl, die Nation, Steve Jobs und das iPhone, die Psychoanalyse, die Kultur, die Diskurse der Kunst, den Underground, das Forum Alpbach, das Subjekt und so weiter und so fort, in Anbetracht all dessen also, was den Menschen zum Animal irrationale, zum Homo insapiens, kurzum: hässlich und unsexy macht, sollte man erwägen, ob dieser Gott nicht doch eine ganz brauchbare, weil zentralisierte Mülldeponie zur Abfuhr ­religiöser Bedürfnisse war.
Sterbehilfe: Tötung auf Wunsch des Patienten, nachdem man ihm mit subtilen Mitteln nahe­gelegt hat, den eigenen Tod zu wünschen.


Straßenräuber: Polizist, der einem Bettler die Tageslosung abknöpft.


Streicheleinheit: Zärtlichkeit, rationiert, um den Zehnuhrtermin nicht zu versäumen.


Stringtanga: Höchstes evolutives Entwicklungsstadium des Slips, eine Art Mimikry, bei der die Textilie die Bremsspur verschwinden lässt, indem sie mit ihr identisch wird.


Tabubruch: Künstlerisches Mittel von lachhafter Harmlosigkeit. Die Tabubrecher von heute klopfen an den offenen Türen, die sie einrennen, sogar an.


Tradition: … ist nicht die Anbetung der Asche, sondern des künstlichen Feuers im Elektrokamin.


Traumprinz: Jener ideale Partner, den es angeblich ja doch nicht gibt. Eine Fehlannahme, wie neueste Erkenntnisse zeigen: Es gibt ihn. Aber ihr kriegt mich nicht!


Twitter: Gradueller Fortschritt in der Evolution sozialer Netzwerke, der sich der Einsicht, einander nichts zu sagen zu haben, mit der Beschränkung auf 140 Zeichen schon vielversprechend nähert.


Überlegenheit: Unterlegenheit in Plateauschuhen.


Übertreibung: Vorwurf, mit dem die Untertreiber sich die Wahrheit verbitten.


Umweltzerstörung: Der endgültige Beweis, dass der Mensch die Dornenkrone der Schöpfung ist.


Unbehagen: Betriebsstörendes Gefühl, dem sofort der Fauteuil der Behaglichkeit unter den Hintern geschoben werden muss, damit es sich nicht zu einer Erkenntnis auswächst.


Urban Gardening: Widerstandsbewegung der reichen Städte des Nordens, deren gesamtes Selbstverständnis auf der falschen Wiedergabe eines Zitats Martin Luthers beruht: Und könnte ich verhindern, dass morgen die Welt untergeht, würde ich stattdessen heute noch ein Bäumchen pflanzen.


Vampirfilm: Horrorfilmgattung, die halbtoten Zusehern gruseliges Behagen dadurch verschafft, dass Untote Lebenden das Leben aussaugen.


Vaterland: Alter Egoist, der seine Kinder für sich sterben lässt. Besäße er einen letzten Rest an Anstand, würde er für seine Kinder sterben.


Veganismus: Spielart des Vegetarismus, die völlig auf den Verzehr tierischer Produkte verzichtet. Besonders ermutigt wurden ihre Anhänger durch den grauenvollen Märtyrertod von deren Begründer Donald Watson, den dieser im brasilianischen Urwald fand, als er ein Papageienei aus dem Rachen einer fleischfressenden Pflanze retten wollte.


Verbitterung: Angemessene seelische Reaktion von Menschen, die sich über die Versalzung ihrer Lebenssuppe nicht durch Beigabe von künstlichem Süßstoff hinwegtäuschen lassen.


Vernetztes Denken: Denken, das sich kaum mehr bewegen kann, weil es sich in einem Netz verfangen hat.


Visionen: Halluzinationen, welche das Feuilleton von Politikern einzufordern nicht müde wird, als wäre deren Politik schon in nüchternem Zustand nicht durchgeknallt genug.


Wahlbetrug: Der Betrug deiner Wahl.


Wahrheitsliebe: Mangel an sozialer Intelligenz.


Wein & Literatur: Mischfutter im Schweinekoben, der sich Kultur nennt, in das die Kostgänger des Geistes, die gebildeten Sinnesmenschen, ihre Rüssel tunken, um mit oenologischem Schmatzen lautstark zu bekunden, auch das Wort auf Frucht und Säure testen zu können. Darauf folgt das sinnliche Klingen der Gläser, die Ahs und Ohs, das frivole Lächeln der Reiki-Lehrerin zur unverstandenen Anspielung und das glückselige Nicken der anderen Nickelbrillenschwarzrollis. Aber siehe da, die Synästhetik des Runterschluckens von Alk und Lit ist vollauf gelungen: Zeugnisse für Weinseminare kann man sich bereits auf der Germanistik anrechnen lassen, Rotweine haben längst eine Bernhard-Nase und sind genauso schwer im Abgang wie er, und immer öfter vernimmt man an den Ladentischen der Kulturställe Bestellungen wie: »Drei Bouteillen vom 2005er-Kehlmann bitte, und einer dieser leichten Cuvées aus Glattauer und Glavinic. Und haben Sie noch den neuesten Krimi vom Jurtschitsch aus Langenlois? … Keine Kreditkarte? … Schatz, hast du noch so viel in bar? … Geh, sein S’ so lieb und kellern S’ mir das Buch bis zur nächsten Verkostung ein, gel … «


Wellness: Menschen das ihnen geklaute Behagen als Ware wieder andrehen.


Weltschmerz: Leiden an seelischer Obdachlosigkeit, das sofort verfliegt, sobald man sich die Miete nicht mehr leisten kann.


Winnetou: Der Deutschen Lieblingsausländer. Schon in den sechziger Jahren wollten ihn Mütter als Schwiegersohn und Väter ihren Töchtern ausspannen. Wären bloß alle Ausländer wie er – es gäbe nur positive Asylbescheide. Aber, sagt Häuptling Springender Punkt, Winnetou würde nie und nimmer um Asyl ansuchen, weil er ein verantwortungsvoller Ausländer ist, der nicht auf Schakalspfoten nächtens in bessere Jagdgründe schleicht, sondern im Apachenland bleibt und von dort aus seine Weltbürgerpflicht abstattet: den kulturlosen Amis Feuer unterm Arsch zu machen.


Zionismus: Der Nationalismus der Spaßverderber. Jahrhundertelang haben wir sie bespuckt, ermordet und vertrieben, weil sie uns durch ihre Wurzellosigkeit ein ständiges Memento der Pathologie unserer Bodenständigkeit waren, und dann schlugen sie dort unten im Morgenland selbst Wurzeln. Diese Menschen sind völlig unfähig, aus den Fehlern ihrer Mörder zu lernen, und haben somit jegliche moralische Autorität verspielt.
An den Opfern unserer nationalen Perversionen also ahnden wir diese. Einmal Sündenbock, immer Sündenbock. Aber gebt uns noch eine Chance. Lasst uns die Fließbandvernichtung von sechs Millionen Juden wiedergutmachen, indem wir wenigstens die Araber vor den Überlebenden schützen.


Zwitschern: Das Angstgeschrei der Vögel, von romantischen Wanderern zum Soundtrack ­ihrer Naturfreude erkoren.


Zypressen: Bewohner der Republik Zypern, die bis zum Rettungspaket der EU im Jahr 2013 Zyprioten hießen.