Eine Tragikomödie
Drava 2012
Magistra Isabella Moser ist Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlerin und arbeitet als PR-Frau für eine Firma, die Energydrinks aus biologischen und fair gehandelten Zutaten herstellt. Theoretisch kämpft sie für die Hybrididät, privat fürchtet sie diese, sowie den Staub in ihrer Designerwohnung, der sie aus allen Ecken bedroht. Ihr Freund, der aufgeblasene Reiseschriftsteller Guido, hat sie sitzen lassen; die einzigen Freunde, die ihr geblieben sind, sind ihre Möbel, mit denen sie ausgiebige Gespräche führt, und Susanne, die ihr ihre Putzfrau Branka empfiehlt. Noch dazu verlässt immer öfter der machoide Captain Clean die TV-Putzmittelwerbung und dringt leibhaftig in ihre Wohnung ein,
Mit Branka nimmt ihr Leben eine unerwartete Wendung. Magistra Moser will der jugoslawischen Romaputzfrau gegenüber keinesfalls als Chefin erscheinen, doch Klassenschranken sind stärker als gute Absichten. Um sich von ihrer kleinbürgerlichen Ordnungssucht zu befreien, stürzt sich Magistra Moser in fiktives, kulturalisiertes Balkanproletentum. Branka weiß sich dieser kulturellen Libido zu entziehen, benutzt sie aber geschickt für ihren eigenen Aufstieg. Stück für Sück beginnt sie Magistra Mosers Wohnung und Identität zu usurpieren, die Jungakademikerin driftet immer stärker in den Wahnsinn ab. Einzig davor retten könnte sie ihr geliebter Guido und das Referat, das sie bei einem Kongress in wenigen Wochen halten soll, mit dem sie feierlich in die Welt der engagierten Wissenschaft zurückkehren will und in das sie all ihre Hoffnungen, all ihren Ehrgeiz steckt. Doch es kommt alles anders.
Bei einer Dinner-Party, die sie für Guido und ihren gemeinsamen Freund und Steuerberater Benno gibt, kommt es zum Eklat. Guido demütigt sie und flirtet mit Branka. Bevor Magistra Moser ihre Gäste rausschmeißt, brechen sich in einer Hasstirade gegen Branka ihre sozialen Vorurteile Bahn. Branka übernimmt die Herrschaft über sie und die Wohnung. Als Magistra Moser aus Versehen Rocky, den Freund Brankas ersticht, dann von Branka gezwungen wird, mit ihr dessen Leiche zu beseitigen, und als sie erkennt, dass Branka den ersten Teil ihres Referats geschrieben hat, dreht sie endgültig durch. Das Stück treibt zu seinem Höhepunkt und unerwarteten Ende zu. Und der dämonische Captain Clean spielt keine unbedeutende Rolle dabei.
Ein burleskes Katz-und-Maus-Spiel der Identitäten und eine bitterböse Parabel auf den so genannten Ausländer- und Genderdiskurs. Hier gibt es kein Gut und Böse, sondern nur den Widerstreit zwischen fiktiver Ordnung und Chaos. «Wie Branka sich nach oben putzte» zeigt uns auf grauenhaft unterhaltsame Art, welch winzige Wegstrecken uns alle vom Faschismus trennen. Ein Hybrid aus Farce, Zauberstück und Sozialreportage.
Richard Schuberth schrieb Wie Branka sich nach oben putzte im Frühling und Herbst 2010 als Auftragswerk des Theaterensembles daskunst unter Leitung von Aslı Kışlal. Es wurde am 16. Mai 2011 im 3-raum-Anatomietheater uraufgeführt. Der Autor spielte darin den Captain Clean.
Link zu daskunst:
Reaktionen & Rezensionen
Wie konnten diese beiden Frauen ihre Identitäten tauschen? Wer das erfahren will, möge sich anschnallen und auf eine tragikomische Achterbahnfahrt gefasst machen, denn Richard Schuberths Theaterstück „Wie Branka sich nach oben putzte“ beschreibt nicht nur auf eine wahnwitzige, sondern mitunter auch grauenerregende Weise, wie sich dieser Identitätswechsel schleichend vollziehen konnte und was der Faschismus – verkörpert durch Captain Clean – damit zu tun hat.
Mascha Dabić, dastandard.at
Hinter dem traurigen Putzkittel leuchtet kein politisch vereinnahmbares Aschenputtel hervor, das sich von der wohlmeinenden Soziologin retten lässt. Genauso wenig wie Moser selbst macht Branka der Leserin übermäßig viele Identifikationsangebote. Kaum scheint klar: Auf deren Seite bin ich, steht schon der nächste Widerspruch habt Acht. Das tut weh und macht Spaß. Tragikomödie eben.
Lisa Bolyos, Augustin
Eine mit stechendem Humor vorgetragene Satire, eine zunehmend surreale Theater-Soap mit dramatischer Komik, verzweifelten Ausbrüchen, schockierenden Freundlichkeiten und befreiender Gewalt.
Sabine Strasser, Stimme von und für Minderheiten
Die Cultural Turns und die Frage nach dem Kulturcode standen zwar immer wieder breitbeinig im 3Raum, Richard Schuberth verstand es allerdings, derartige Textkonvolute mit Sprachwitz und absurdem Humor zu unterfüttern, daraus entstand letztlich ein mächtiges, wahnwitzprächtiges Theaterstück über nationale Ideologien, politische Korrektheit, Identitätssuche, dem HC (Strache; vormals Jörg Haider) in uns, über Sauberkeit alias soziale Hygiene, über die Kulturkontakter von CEE (Central and Eastern Europe), über Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, all das möglichst gendergerecht und biologisch abbaubar. (…)
Humor als Rettungsanker vor dem Abgrund, der in die Wirklichkeit unserer Wahnfantasien führt, lautet jedenfalls die Devise dieses schrägen und rasanten Theaterstücks.
Manfred Horak, Kulturwoche
(…) Sie ist eine der beiden Hauptfiguren des jüngsten fulminanten, ironischen, ein Feuerwerk von Wort- und vor allem Gedankenspielen abfeuernden Stücks von «das kunst». (…)
Immer schriller, immer skurriler (…), wie der großartige Text Richard Schuberths theatral in Szene gesetzt werden könnte/konnte. (…)
Die dichten, spannenden knapp mehr als zwei Stunden Hirnnahrung mit kräftigen Gedankenschubsern, die zur Selbstreflexion aufgeklärter, liberaler Theaterbesucher_innen einladen bis zwingen («oh erwischt») …
So lustig und spaßig wie in «Wie Branka sich nach oben putzte» ist kritische Selbstreflexion selten.
Heinz Wagner, Kurier
Feministinnen fallen hier auf chauvinistische Machos rein, Ausländer liebäugeln mit der FPÖ, die Putzfrau entdeckt die kritische Wissenschaft. Rollen werden getauscht.
Ulla Ebner, Ö1
Die Uraufführung des vierten Theaterstücks von Richard Schuberth, «Wie Branka sich nach oben putzte», im Wiener 3raum-anatomietheater geriet gestern, Montag, zum schwarzhumorigen Gutmenschen-Eklat. (…)
Je weiter die Zeit fortschreitet, desto surrealer werden die Szenen. Zuerst passiert ein unabsichtlicher Mord, die Leiche wird mittels Fleischwolf beseitigt, doch dann greift Magistra Moser absichtlich zum Messer und mordet. Oder war das alles doch nur in ihrem Kopf?
Die Diskurse steigen Magistra Moser schließlich zu Kopf, mit alptraumartigen Stimmungen klingt der Abend aus. Es ist wieder einmal klar, dass das Gute, das Böse und Political Correctness weder leicht zu trennen noch leicht zu ertragen sind.
Eva Lugbauer, APA