Ein dokumentarischer Film-Essay
Konzept einer nie gemachten Dokumentation (2014)
Es ist höchste Zeit, die Dinge klarzustellen. Februar 2014 sah die Welt ein weiteres Mal ein Volk für seine Freiheit auf die Straße gehen und ein verhasstes Regime stürzen. Die westlichen Couch-Potatoes, die die sukzessive Rücknahme sozialer und politischer Rechte in den eigenen Ländern lethargisch über sich ergehen lassen, wurden – wie bereits beim Arabischen Frühling – kathartisch mit den Medienbildern einer kämpferischen Zivilgesellschaft versorgt. Doch dieses Mal war die Öffentlichkeit nicht mehr bereit, die medial verbreitete Version von der Revolution in der Ukraine zu schlucken. Diese Dokumentation will ihren Beitrag dazu leisten, die ideologische Choreographie dieses Staatsstreichs und die dahinter stehenden Interessen zu enthüllen. Und mehr noch die sich stets nach dem gleichen Muster abspielenden Zusammenhänge von neoliberaler Wirtschaftspolitik, Stellvertreterkriegen, Faschismus (& Nationalismus) und der zynischen Instrumentalisierung der Hoffnungen der betroffenen Menschen analysieren.
Seit dem 19. Jahrhundert werden Freiheitskämpfe von den Big Global Players gemacht und medial inszeniert, seit dem Untergang des Ostblocks und der Implementierung eines neoliberalen Wirtschaftsregimes erhielt diese Farce jedoch eine neue Dynamik. Je mehr Demokratie und Freiheit auch in Europa und der USA faktisch unterhöhlt wurden, desto hysterischer werden diese Begriffe an deren Peripherien als ideologische Spielmarken eingesetzt.
Wie viele Frühlinge noch wird auf auktoriale Welterklärungen und Off-Expertisen weitgehend verzichten, er wird ideologisch zu eindeutige Begriffe wie neoliberal, neokolonialistisch, Propaganda etc (so sehr sie auch zutreffen mögen) vermeiden, sondern Fakten und Menschen für sich selbst sprechen lassen. Er wird auch nicht den Fehler wiederholen, die Kritik an der Osterweiterung und ihren Interessen mit einer provokativen Pro-Putin-Haltung zu kontern, da das ökonomische Regime hüben wie drüben ähnliche Interessen verfolgt – drüben autoritärer und ehrlicher, hüben versteckter und mit dem Narrativ der freieren Welt kaschiert. Kein Zweifel: Das russische System ist autokratisch und pseudodemokratisch. Interessant ist lediglich die Frage, welche ideologische Funktion es erfüllt, um die demokratiepolitischen Mängel des Westens zu kaschieren. Es wird aber keinen Zweifel offen lassen, dass die Interessen Russlands, seine „Hausmacht“ zu sichern, nicht mehr oder weniger gut oder böse sind als die des Westens.
Wie viele Frühlinge noch wird nicht nur die Gegen-Geschichte zum medialen Narrativ erzählen, sondern diese an jener messen.
Wie viele Frühlinge noch wird mit einem Frühling beginnen und einem anderen enden. Er wird die Topographie des ukrainischen Frühlings erörtern, seine Ereignisse, Widersprüche, Lügen und Hoffnungen, und er wird mit dem erstaunlichen und hoffnungsvollen bosnischen Frühling enden, wo Ansätze echter Demokratie ohne westliche oder östliche Steuerung vom „Volk“ gegen seine ökonomische und politische Unterdrückung gewandt wurden.
Wie viele Frühlinge noch wird kein (oder nicht nur) politologischer Einführungsunterricht sein, sondern anhand vieler Zeitzeugen, beteiligter Kritiker, Opfer und Akteure der Macht eine spannende, mitunter poetische, manchmal sarkastische Geschichte erzählen. Mit unerwarteten Schnitten, Ironie und Sensibilität für die Interessen der (oft missbrauchten) Akteure des Widerstandes wird der Film die Polyphonie jener Stimmen, die im Staccato der Propaganda untergingen, zu einer argumentativen Collage fügen.
Wie viele Frühlinge noch wird auf Referenzen vergleichbarer Medienkriege wie in Bosnien, Kosovo, Irak, Libyen, Iran etc. verzichten, um sich nicht in Allgemeinheit zu verlieren. Kritischen Beobachtern sind die Zusammenhänge ohnehin evident, ihnen brauchen wir nichts zu erzählen.
Wie viele Frühlinge noch wird eine böse, kraftvolle, spannende und unterhaltsame Studie, die auch unter dem Titel firmieren könnte: Was Sie schon immer über die machtpolitische Verarschung von hoffnungslosen Menschen durch die Lügen der Freiheit wissen wollten anhand der jüngsten Ereignisse.
Auch wenn sich die Ereignisse in der Region die nächsten Monate überschlagen sollten, neue Kalte und Heiße Kriege ausbrechen, wird der Film ihnen Rechnung tragen und den Ursprung der Ereignisse dokumentieren.
Die folgende Gliederung umfasst sieben hypothetische Kapitel. Darin werden zunächst die inhaltlichen Fragestellungen erörtert. Erst das gesammelte Filmmaterial wird zeigen, ob diese zunächst provisorischen Richtungen haltbar sind oder neue Wege eingeschlagen werden müssen.
- Der MAJDAN, HOFFNUNG & DEMOKRATIE
Wann immer in den letzten 30 Jahren Menschen auf die Straßen gingen, um für mehr Freiheit, Demokratie, gegen Korruption und für Änderung der Verhältnisse zu protestieren, konnten sie sich in den Medien Europas der wohlwollendsten Publicity erfreuen – unter einer Bedingung: solange ihr Protest politischen Eliten galt, die offiziell als Gegenspieler geopolitischer und ökonomischer Interessen von EU und USA galten. Völlig undenkbar wäre es, dass die Sozialproteste der Indignados in Spanien oder anderen Länder Südeuropas gegen die diktatorischen Sparprogramme der Troika ähnliche Sympathien und Live-Berichterstattungs-Dichte erhalten hätten wie die Demonstrationen auf dem Majdan, die schließlich zum Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung führten.
Die neoliberale Gleichschaltung und Trivialisierung der Medien hat Begriffe wie Freiheit und Demokratie zu sinnentleerten und emotionalisierten Wohlfühltermini werden lassen, die direkt aus dem Propaganda-Portefeuille des Kalten Krieges auf jeglichen neuen geopolitischen Antagonismus übertragen wurden und mit dem eine in Ost und West entpolitisierte Öffentlichkeit mit dem Zerrbild eines manichäischen Gegensatzes zwischen Gut und Böse, Weiß und Schwarz versorgt wird. Freiheit und Demokratie werden immer mit dem Westen assoziiert. Mit der Komplexitätsreduktion einer dynamischen Zivilgesellschaft, die sich im Namen westlichen Ways of Life gegen repressive Staatsapparate auflehnt, werden uralte ins Unterbewusste gravierte Chiffren von Rock ’n’ Roll und Bluejeans contra Parteianzug und böse, verkrustete Strukturen revitalisiert. Somit positionieren sich USA und EU als das Happy End der Geschichte, gegen welche das autokratische Russland und das staatskommunistische China das notwendige Diapositiv abgeben müssen. Just in einer Epoche, da eine schleichende Entdemokratisierung diese Werte als Ideologie entlarven. Dies ist – spätestens seit der Krise keine marxistische Propaganda, sondern längst in der Mitte angekommener politologischer Mainstream (Stichwort: Postdemokratie/Colin Crouch).
Wer nach dem starken Einfluss nationalistischer und rechtsradikaler Kräfte bei der Majdan-Bewegung fragt beziehungsweise nach Mobilisierung durch US- und EU-Interessen, dem wird unisono Manipulation durch russische Propaganda vorgeworfen. Allein die Hysterie, mit dem man sich in westlichen Mediendebatten jegliche Kritik verbittet, und versucht wird, diese als naiv und ideologisch abzutun, müsste ein beredtes Zeugnis davon abgeben, dass hier etwas faul ist. Keine gewählte Regierung im Westen würde auf das Gewaltmonopol verzichten, wenn Protestanten mit starker faschistischer Beteiligung wochenlang Verwaltungsgebäude belagern und besetzen und mit Katapulten Brandsätze darauf schössen. Die Einsicht, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist beschämend naiv. Dennoch muss sie immer wieder ausgesprochen werden.
Auf keinen Fall sollen die politischen Bedürfnisse und das authentische Protestpotenzial großer Teile der Majdan-Bewegung in Abrede gestellt werden. Zwanzig Jahre soziale Katastrophe einer Oligarchenherrschaft schufen ein Unmutspotenzial, das sich aus Mangel an seriösen Alternativen entweder in Nationalismus oder mythischen Hoffnungen auf die Zugehörigkeit zu „Europa“ und dem dort noch oder schon lange nicht mehr gewährleisteten Konsum- und Sozialniveau knüpften. In der Tat war die aktuelle Majdanbewegung unabhängiger von lokalen Oligarcheninteressen als die Proteste, die der sog. Orangenen Revolution vorausgingen. Einer der primären Motivationen war allerdings nicht ein antirussischer Aufstand, sondern die Revolte gegen das Oligarchen-Regime. Es wäre jedoch nach Kenntnis a l l e r vergleichbarer Konflikte der letzten 100 Jahre völlig grotesk, anzunehmen, dass die Majdan-Bewegung (bis auf wenige löbliche Ausnahmen) das Produkt einer spontanen basisdemokratischen Bewegung war. In der Tat wurde sie orchestriert von diversen Stiftungen, NGOs (USAID, NED, Otpor, Konrad Adenauer Stiftung etc.), deren Soldlisten sich über etliche Ecken zu den Regierungen in Washington, Brüssel und Berlin zurückverfolgen lassen. Es existieren genaue Auflistungen, wie der Aufbau dieser Widerstandszellen vom US State Department finanziert und aufgebaut wurden.
Die neokonservative Beauftragte des State Department für die Ukraine, Viktoria Nuland, sprach von 5 Milliarden Dollar Unterstützung. Und wie überall, wo Geld aus dem Demokratisierungsetat fließen, wachsen zu dessen Lukrierung daraus erst NGOs wie Pilze, wie das in allen Transitionsländern beim Scramble for Power vielfach belegbar ist. Als Agents provocateurs eigneten sich natürlich rechte und faschistische Bewegungen, die über die geeigneten paramilitärischen Strukturen verfügten und deren ideologische Positionen in den Medien konsequent verharmlost wurden.
Mit der Majdanbewegung sahen die ukrainischen Oligarchen erstmals eine Kraft, die ihren Machtbereich zu unterlaufen drohte, was nicht heißt, dass sie unabhängig war. Eine für diese Entwicklung charakteristische Erscheinung ist der Ex-Box-Champion Vitali Klitschko, der als Mann des Volkes von der deutschen Konrad Adenauer Stiftung finanziert und trainiert worden war.
Um bei der Neuverteilung der Macht nicht die erreichten Positionen zu verlieren, begann in den Monaten ein fieberhafter Wettlauf darum, oppositionelle Positionen für sich zu usurpieren.
Aktionsplan: Kurze Chronologie der Ereignisse, Montage von Archivmaterial, Interviews mit Teilnehmern der Majdanproteste, mit Vertretern beteiligter NGOs, mit Ukrainern, die am Protest beteiligt waren, aber deren Stimmen bis jetzt ungehört blieben, kritischen, unabhängigen Geistern, ihren Motiven und Erfahrungen. Besondere Sensibilität für Unbehagen mit dem rechten Block, Einschüchterungen, Zensur; Frage nach homogener Bewegung und kollektivem Willen.
- DIE MACHT DER MEDIEN, EINSCHWÖRUNG AUF EINE REVOLUTION
Medial lief der gesamte Konflikt nach bewährten Mustern ab. Und zur Dramaturgie der Posse gehört, dass sich die westliche Medienlandschaft als differenziert, objektiv und ideologiefrei darstellt. Konkret wurde nach folgenden (in beinahe allen Konflikten der letzten 20 Jahre sich wiederholenden) Mustern operiert: Reduktion einer hochkomplexen Gemengelage auf eine absolute Feind/Freund-Matrize, Janukowitsch/Putin als Achse des Bösen und eine heldenhafte prowestliche Zivilgesellschaft als good guys. Freiheit kontra Tyrannei. Ausklammerung der sozialen Dimension sowie der geopolitischen und ökonomischen Interessen, sowie des simplen Umstandes, dass das Oligarchensystem auch quer zu dieser Achse funktioniert, wie die korrupte Ära Juschtschenko/Timoschenko drastisch gezeigt hatte. Zu simpel wäre es, von einer direkten politischen Steuerung westlicher Medien zu sprechen. Oft läuft die Gleichschaltung der Berichterstattung in vorauseilendem Gehorsam des liberalen Feuilletons ab, sich den gewohnten und opportunen Schemata als ausgewogene Stimme anzudienen, und jede kritischere Perspektive als unseriöse Außenseitermeinung zu diffamieren (kryptokommunistisch, putinfreundlich, naiv, radikal, weltfremd, pharsendrescherisch. weltfremd-gutmenschlich …). Doch interessanterweise bekam die Gleichschaltung in diesem Konflikt immer mehr Risse. Während in österreichischen Medien brav auf die Einheitslinie (vor allem von „linksliberalen“ Feuilletonisten wie Rauscher, Misik und M. Pollak) eingeschworen wurde, wurde in Deutschland auch im Medien-Mainstream zunehmend auch eine Infragestellung des verordneten Common Sense laut. Solange das nur von linken Nischenmedien kam, war die Sache klar, „taz“ und „Freitag“ gelten bereits als seriöser, und als selbst die „Zeit“ und die „Süddeutsche“ das Narrativ sachlich anzweifelten, begann die Hetze gegen die „Putinfreunde“. Das Positive daran: Seit der größeren Sensibilisierung öffentlicher Meinung gegenüber den Verursachern der Finanzkrise standen die Chancen noch nie so gut wie heute, auch eine kritischere und differenzierte Sicht derartiger Konflikte sich im medialen Mainstream durchsetzen zu lassen.
Aktionsplan: Kurzer Abriss der Medienrezeption. Interviews mit kritischen Medien und ihren Stimmen. Z.B. mit dem Medienwissenschaftler Uwe Kröger, der mit seinem Buch „Meinungsmacht“ eine unschätzbare Bestandaufnahme der Vernetzung deutscher Auslandskorrespondenten und amerikanischer Think Tanks vorlegte. Wichtig: Versuch, auch die russische Einflussnahme zu thematisieren, um Weizen von Spreu zu trennen. Frage nach Korrelation von gleichgeschalteter Berichterstattung und kapitalkräftigen Eigentümern dieser Medien.
- DIE OLIGARCHEN
Als das Sowjetimperium zusammenbrach, vollzogen sich in beinahe allen postsozialistischen Staaten ähnliche Szenarien der ökonomischen Transformation, die Aneignung des Staatsbesitzes durch Selfmademen, Kleinmafiosi und Glücksritter. Zum Teil wurde der Kampf der freien Marktkräfte mit der Brutalität von Bandenkriegen ausgetragen. Der im Westen als Siegeszug der Demokratie dargestellte Transformationsprozess bedeutete, dass eine neue politische Klasse die Reste der Staatsbetriebe zu symbolischen Spottpreisen an ihr Klientel verkauften. (Ein einziges Mal wurde ein Exempel statuiert, als der „prowestliche“ Präsident Juschtschenko 2005 per Gesetz die Privatisierung des Stahlgiganten Kryworischstal rückgängig machte, den Wiktor Pintschul, der Schwiegersohn von Ex-Präsident Kutschma, gemeinsam mit dem Mogul Rifat Achmetow dem Staat um den Spottpreis von 800 Millionen Euro abgekauft hatte. Ein halbes Jahr später wurde Juschtschenko abgewählt.)
Im brutalen Kampf um die Konkursmasse setzten sich bald jene Figuren durch, die auch heute noch als Multimillardäre das politische und ökonomische Leben der Ukraine bestimmen. Der Timoschenko-Clan, dem der jetzige Übergangspremier Jaseniuk angehört, der „Schokoladekönig“ Petro Poroschenko und der vermutlich wichtigste Player, Rifat Achmetow.
Der schwedische Ukraine-Spezialist Anders Aslund verglich die Situation in der Ukraine nicht zu Unrecht mit den US-amerikanischen Robber Barons des 19. Jahrhunderts. Theodore Roosevelt hatte ihnen und ihren Monopolisierungstendenzen Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen Anti-Trust-Gesetzen Zügel angelegt. In Russland sollte dies erst Wladimir Putin gelingen, als er 2000 in einem absolutistischen Gewaltakt die Oligarchen der Staatsmacht unterordnete. In der Ukraine blieb die Anarchie der Marktkräfte aufrecht. Einer der wesentlichen Gründe für die Proteste.
Politische und ökonomische Klasse sind in diesen Ländern in der Regel identisch, entweder Erstere durch Letztere gesteuert, oder Erstere direkte politische Entscheidungsträger. Der freie Markt der Meinungen vollzieht sich durch die privaten Fernseh- und Radiosender der Oligarchen, wie etwa Poroschenkos „Kanal 5“ oder Achmetows Privatsender.
Einer zutiefst ideologischen Simplifizierung wurden die innerukrainischen Konkurrenzkämpfe in der Tat stets als das Ringen prowestlicher mit prorussischen Kräften dargestellt. Die Wahrheit ist weitaus komplexer. Das gemeinsame Band der Oligarchen war eher ein geschicktes Lavieren zwischen westlichen und „östlichen“ Interessen. Zwar war der Staat interessiert an einem möglichst günstigen Investitionsklima für europäische Konzerne und Banken, aber auch von russischen Exporten abhängig, und die Oligarchen wollten den Status quo möglichst erhalten, von dem sie stets profitiert hatten. Die Exportbedingungen in die EU sind für die ukrainischen Oligarchen keineswegs günstig. Zu den wenigen Waren, die durch ein EU-Assoziierungsabkommen Exporterleichterungen erfahren würden, sind Süßwaren. Kein Wunder dass der Schoko-König Poroschenko einer der wenigen Oligarchen war, die bereits vor der „Orangenen Revolution“ sich direkt auf einen EU-Kurs einschworen. Seit Russland die Einfuhr seiner Schokolade im Vorjahr stoppte, weil darin das ungesunde Benzpyren gefunden wurde, gehört er zu den aktiven Unterstützern Vitali Klitschkos, dem von der Konrad Adenauer Stiftung aufgebauten Kandidaten, der seine Popularität vor allem dadurch erhielt, dass er als von den Oligarchen unabhängig galt. (Poroschenko war eineinhalb Jahre Wirtschaftsminister in der Regierung Justschenko gewesen)
Auch in der Opposition Wiktor Juschtchenkos gegen das System Janukowitsch äußerste sich ein sozialer Protest, nämlich der der „Millionäre gegen die Milliardäre“, des aufstrebenden Oligarchen-Mittelstandes gegen die Elite. Damit und mit millionenschwerer Unterstützung durch den Westen konnte er sich als „Mann des Volkes“ gegen das Establishment positionieren.
Auch die Darstellung von Präsident Wiktor Janukowitsch als sinistrem Knecht russischer Interessen lässt sich bei genauerer Analyse nicht halten. Das beweist sein unschlüssiges Lavieren zwischen EU-Interessen und russischem Diktat. Er ist in erster Linie Vertreter oligarchisch-ukrainischer Interessen. Dass die multiethnische Zusammensetzung der ukrainischen Staatsbevölkerung ein willkommenes und ungemein gefährliches Tool der Massenmobilisierung ist, zeigte sich schon am Vorabend der Orangenen Revolution, als Julia Timoschenko die rechtsnationalistischen Sentiments in der Westukraine instrumentalisierte und schürte, während Janukowitsch und seine Hintermänner eher die russischstämmigen Ostukrainer mobilisierten. Doch auch die prorussischen Loyalitäten hatten weniger mit der ethnischen Identität des Wahlvolks zu tun als mit dem Umstand, dass die dort hauptsächlich angesiedelte Stahl- und Bergbauindustrie abhängig von den russischen Gaslieferungen ist. Solange die Regierung den Vorgaben Putins gehorchte, war sie auch mit einem quasi „geschenkten“ Gaspreis weit unter dem Weltmarktpreis belohnt worden. Als diese Gefälligkeit revidiert wurde, stellte man das in westlichen Medien als Akt wirtschaftlicher Erpressung hin.
Aktionsplan: Archivmaterial, Interviews, wenn möglich, mit wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern in der Ukraine und Ukraine-Experten. Interviews mit selten gehörten politischen Aktivisten in der Ukraine sowie „Menschen von der Straße“ (Stimmungs- und Meinungsbilder)
- NATION & FASCHISMUS
Die letzten 200 Jahre zeigten: Soziale Prekarisierung einer Gesellschaft zieht Nationalismus und rechte Ideologien an wie Kot die Fliegen. Die Ethnisierung ist eine der gebräuchlichsten politischen Schachzüge, dort wo Hoffnung und Alternativen fehlen. Sie kaschiert soziale Widersprüche zwischen Profiteursklassen und prekarisierten Mehrheiten durch das Narrativ einer gemeinsamen in den Tiefen von Zeit und Raum verwurzelten exklusiven Familie. Deshalb bedienten sich Oligarchen wie Julia Timoschenko und Juschtschenko eines rechten Nationalmythos, ehe sie, verstärkt durch die Krise und neue Sparprogramme, von neuen Bewegungen aus dem unteren Mittelstand, von echten Faschisten verdrängt zu werden drohten (eine ähnliche Dynamik ließ sich schon in den 90er Jahren bei Serbiens machiavellistischem Präsidenten Milošević und seiner rechtsnationalistischen Opposition beobachten).
Natürlich ist auch die kolportierte Geschichte des ukrainischen Volkes historisch wie jeglicher nationale Mythos widerlegbar, bei wenigen Ethnien ist aber das nationale Selbstverständnis dermaßen mit antisemitischen Ethnoziden verknüpft. Sowohl die Partei Swoboda als auch die wichtigsten Oligarchenparteien berufen sich sowohl auf die Saporoger Kosaken als auch auf den Faschisten Stepan Bandera. Die Saporoger Kosaken gelten als Gründer der ukrainischen Nation, obwohl sie sich niemals als eine solche verstanden. Sie waren auch nie antirussisch eingestellt, sondern entweder Handlanger oder aber Widersacher des Königreichs Polen-Litauen. Aufgrund einer persönlichen Fehde mit dem Königshaus konnte der Hetman Bohdan Chmelinski Mitte des 17. Jahrhunderts einen Volksaufstand anzetteln (hierin, in der Instrumentalisierung allgemeiner Unzufriedenheit für persönliche Interessen glich er durchaus den heutigen Oligarchen), infolge dessen er mit seiner Kosaken- und Bauernarmee einen Großteil des polnisch-litauischen Reichs verwüstete, plünderte und hunderttausende Polen und Juden abschlachten ließ. Sein Feldzug gilt als einer der ersten großen Judenpogrome der Neuzeit. Juschtschenko und Timoschenko ehrten und verehren den ukrainischen Konterrevolutionär Symon Petljura (1879–1926), der in der Ukraine 1918/19 antijüdische Pogrome abhalten ließ, und Stepan Bandera (1909–1959), der beim Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion mit seiner Ukrainischen Aufstandsarmee an der Ermordung von 7000 Kommunisten und Juden allein am 30. Juni 1941 beteiligt war. Alle Genannten gehören auch zu den Säulenheiligen der Swoboda-Partei, mit dem Unterschied, dass diese trotz ihrer antieuropäischen und antideutschen Rhetorik noch dazu die ukrainischen SS-Divisionen in Ehren halten.
Ein offizielles Statement des Obberrabbiners von Kiew, dass es keinen Antisemitismus in der Ukraine gebe, wurde frohlockend vom österreichischen „Standard“ bis zur „New York Times“ abgedruckt. In eigenartigem Widerspruch steht das zu den Erlebnissen israelischer und arabischer Studenten in Odessa, die regelmäßig verprügelt wurden, und dazu, dass Swobodas Parteichef Tjahnybok und sein Stellvertreter Ihor Miroshnychenko vom Simon-Wiesenthal-Zentrum im Dezember 2012 auf Platz 5 seiner „Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs” gesetzt wurden. Tjahnybok hatte behauptet, die Ukraine werde von einer russisch-jüdischen Mafia regiert. Tjahnyboks politisches Credo: „Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten.“
Im Juli 2013 unterzeichneten 30 israelische Knesset-Abgeordnete einen offenen Brief, der an den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) gerichtet war. Darin warnten sie vor dem Antisemitismus und der Russenfeindlichkeit der Partei und kritisierten, dass die beiden größten Oppositionsparteien in der Ukraine mit ihr zusammenarbeiten.
In den Transitionsländern, in denen linkes Denken mit der verhassten staatskommunistischen Nomenklatura assoziiert wird und eine demokratische undogmatische linke Opposition nicht existiert, ergießt sich sozialer Protest stets in rechte Kanäle. In der Ukraine sind Nationalismus und ein mal mehr, mal weniger verhohlener Antisemitismus bis weit in die politische Mitte hinein salonfähig. Der US-Senator McCain und der deutsche Außenminister Steinmeier mögen rein instrumentalistisch denken, wenn sie sich auch mit der Swoboda zur Durchsetzung ihrer Interessen an einen Tisch setzen, in der naiven Hoffnung, dass diese nach gelungenem Staatsstreich wieder in der Versenkung verschwinden würde. Doch die Geister, die man rief, wird man so schnell nicht los. In der Übergangsregierung stellt Swoboda vier Minister sowie einen Generalstaatsanwalt und einem Chef des nationalen Sicherheitsrats. In den Provinzen der Westukraine stellt Swoboda die relative Mehrheit.
Aktionsplan: Historisches Archivmaterial, Interviews mit Vertretern rechter Bewegungen (die erfahrungsgemäß oft keinen Hehl aus ihren Gesinnungen machen und gerne sich medial präsentieren), Interviews mit potenziellen „Opfern“, mit Vertretern von jüdischen Organisationen, Schwulen- und Lesbenorganisationen, kritischen Intellektuellen, mit Anhängern und Gegnern (vor allem in der Westukraine).
- DER WESTEN: INTERESSEN und LOBBYS
Bei aller Komplexität, durch den Dschungel beweis- und unbeweisbarer Querverbindungen, dem Zusammenspiel diverser und mitunter gegenläufiger Interessen – durch all das hindurch lassen sich doch geopolitisch und ökonomisch recht eindeutige und simple Interessenlagen erkennen, die von den Akteuren sogar jederzeit eingestanden werden und somit dem Vorwurf von Verschwörungstheorien den Wind aus den Segeln nehmen:
Jede Großmacht ist interessiert daran, seinen Handlungsspielraum auszuweiten, Abhängigkeiten zu erzeugen, Absatzmärkte zu erschließen und Konkurrenten das Wasser abzugraben. Dem Umsturz in der Ukraine ging ein jahreslanges Ringen um die Integration in russische Einflusssphäre (eurasisches Bündnis), europäische (EU-Assoziationsabkommen) oder US-amerikanische (NATO) voraus. Hinter medial verbreiteter und diplomatisch gespielter Eintracht erwiesen sich die EU und die USA als erbitterte Konkurrenten, wie das abgehörte Telefonat zwischen Frau Nuland vom US State Department und dem US-Botschafter in der Ukraine, Pyatt, zeigte. Ihr charakteristischer und medial ausgeschlachteter Sager „Fuck the EU“ lenkte aber bloß von der eigentlichen Sensation ab: Das Gespräch gab nämlich einen beredten Einblick in die Nonchalance, mit der von außen über die Besetzung der Regierung bestimmt wurde, nachdem Janukowitsch gestürzt sein würde. Die medial desinformierte Welt wusste damals nämlich noch nicht, was Nuland und Pyatt sehr wohl wussten, das Janukowitsch fallen würde, dabei war er gerade bereit, gegenüber den Forderungen der Demonstranten einzulenken. Das nützte ihm freilich wenig, denn das Kabinett nach ihm stand bereits fest. Nuland und Pyatt befanden in ihrem Gespräch darüber, wer in der Übergangsregierung zu sein habe und wer nicht, nämlich auf jeden Fall „Yats“ (so heißt der von der USA favorisierte Timoschenko-Technokrat Jaseniuk in der Diplomatensprache offenbar), während „Klitsch“ (so offenbar heißt der Merkel-Mann Klitschko in diesem Jargon) „doch bloß draußen bleiben und seine politischen Hausaufgaben machen“ (Pyatt) solle, und dann – simsalabim – Yats Interims-Staatschef wurde und Klitsch außerhalb des Parlaments „seine Hausaufgaben“ machen musste.
Die dazu notwendige Ideologisierung überraschte nicht. Russland, ein halbbarbarischer, asiatischer Despot, unterdrückt mittels oligarchischer Vasallen ein nach Freiheit lechzendes Volk. Dieses erhebt sich in zivilgesellschaftlicher Eigeninitiative unter tragischen Blutopfern und bekommt nachträglich die großzügige Unterstützung der einzig legitimen Gewährleister für Demokratie, Freiheit und Zivilisation: Europa und USA. So hätte es rüberkommen sollen.
Russland: expansives Reich des Bösen. EU: Implementeure des Guten, Wahren, Schönen. Das klingt plakativ. Und ist dennoch eine Untertreibung der Simplizität, mit der die medialen Jubelbarden dieses Märchen verbreiteten, das vor 50 Jahren schon ein für jeden klarsichtigen Menschen durchschaubar war.
Die Ukraine war seit dem 17. Jahrhundert russische Einflusssphäre, nachdem sich die Saporoger Kosaken nach ihrem Völkermord an Polen und Juden sich in die Schutzbefohlenheit des russischen Zaren begaben. Nach der Oktoberrevolution gewährte Lenin allen ex-zaristischen Völkern, so sie das wünschten, staatliche Selbstbestimmung. Kaum war das geschehen, begannen in der Ukraine weitere Morde an Juden und Polen. Die Ukraine wurden zur Basis der konterrevolutionären Weißen Armee, im Laufe des Bürgerkrieges sah sich die bolschewistische Regierung gezwungen, das Land zu annektieren. Die katastrophalen Hungersnöte in den 30er Jahren, denen Russen gleichermaßen zum Opfer fielen wie Ukrainer, wurden bereits von Präsident Juschtschenko als Holodomor zum nationalen Opfer und gezielten russischen Völkermord hochstilisiert, vermutlich um die Beteiligung der ukrainischen Nationalisten an der NS-Politik zu rechtfertigen. Die Krim war seit der Unterwerfung des darauf ansässigen Tataren-Chanats russisches Staatsgebiet. In einem großzügigen Akt des guten Willens schenkte Chruschtschow 1957 der Ukrainischen SSR die Krim.
Nach internationalem Recht rechtfertigt nichts die Nacht-und-Nebel-Annektion der Krim durch Russland. Doch vermutlich hätte eine von langer Hand vorbereitete und von internationalen Beobachtern gratifizierte Volksabstimmung dasselbe Ergebnis gezeitigt, auch wenn NGOS, Geheimdienste etc mehr Zeit gewonnen hätten, die dortigen lokalen Entscheidungsträger auf ihre Seite zu bringen.
Aktionsplan: Medienmaterial. Interviews mit Vertretern westlicher Think-Tanks und Stiftungen (z. B. Konrad Adenauer Stiftung, Soros Stiftung), Osteuropa-Spezialisten.
- ENTTÄUSCHTE HOFFNUNGEN: Bulgarien, Rumänien und Bosnien
Unverkennbar, ob authentisch oder geschürt, waren die Hoffnungen der Majdan-Demonstranten auf eine Annäherung an „Europa“. Westen, Demokratie, Freiheit, Hoffnung, Wohlstand – sehr emotionale Desiderate, denen eine sachliche Prüfung dessen, was diese Annäherung real bringen würde, nicht standhielte.
Denn es handelt sich hier um kein Sozialprojekt, um die Hebung von Löhnen, die Verbesserung des Arbeitsrechts, den besseren Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung für die breite Masse.
In erster Linie geht es um eine Erweiterung der Absatz- und Investitionsmärkte (im großen Rahmen bereits in den 90er Jahren geschehen) und eine Schwächung der russischen bzw. eurasischen Expansion. Eine tatsächliche Integration in die EU kann sich diese unmöglich leisten. Die Reisefreiheit für Ukrainer wird weiters eingeschränkt, die Reisefreiheit europäischer Waren jedoch erleichtert werden, was vor allem der lokalen Produktion großen Schaden zufügen wird (davor fürchten sich die Oligarchen am meisten).
Das Programm, das der Ukraine bevorsteht, umreißt die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die weissagt, dass dort „enorme Anpassungskosten anfallen und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schießen“ würden. Bereits der erst 26-jährige Wirtschaftsminister des Übergangskabinetts Pawlo Scheremeta bekannte bei seinem Amtsantritt ebenso realistisch wie resignativ, dass er mit Sicherheit der unpopulärste Wirtschaftsminister in der Geschichte der Ukraine sein werde.
Die Ukraine wird unweigerlich Opfer eines Programms, einer Ideologie werden, die seit der neoliberalen Wende in den 80er Jahren mit unbeirrbarer Beharrlichkeit in der ganzen Welt alles falsch macht, was man nur falsch machen kann, und beständig Öl ins Feuer gießt. Man nennt das Strukturanpassungsprogramme und Austeritätspolitik. Letztere wird seit der sog Schuldenkrise auch trotz interner Selbstkritik als tragischer, aber notwendiger Sachzwang postuliert. Es muss sich gar nicht um berechnende Zerstörungs- und Machtpolitik handeln, oft steckt dahinter ein verhängnisvoll naiver Idealismus, der auf der liberalen Logik gründet, dass erst die Zerstörung jeglichen staatlichen Dirigismus den Marktkräften freie Hand lässt und nach anfänglichen sozialen Disparitäten die steigende Prosperität der gesamten Gesellschaft zugute komme. Seit der Krise ist diese Ideologie bis weit in die gesellschaftliche Mitte in die Kritik gekommen, jeder konservative Feuilletonist übt sich heute in modischer Kapitalismuskritik. Diese mediale Offenheit erzeugt den Eindruck von Meinungspluralismus und schafft das gute Gewissen, dass sich alles zum Besseren wende, während die Oligopole der „freien westlichen Welt“ die Schrauben ihrer neoliberalen Praxis und Umverteilungspolitik sogar andrehen. Niemand hindert sie daran, und es ist fraglich, ob dies überhaupt noch möglich ist.
Für die Ukraine heißt das konkret: Ein oktroyiertes Sparprogramm wird Mittel für soziale Dienste und Bildung kürzen, Regierungsangestellte entlassen, die Währung abwerten und so die Importpreise erhöhen, darunter für russisches Gas und Strom, und ukrainisches Staatsvermögen für die Übernahme durch westliche Konzerne freigeben.
Einen Vorgeschmack auf die neuen Freiheiten lieferte die ukrainische Übergangsregierung bereits im März mit der Halbierung der Renten. Diese Maßnahmen führen nicht nur zur Verelendung, sondern sind der fruchtbarste Nährboden für Faschismus und Nationalismus. Eine Epidemie, die sich krisenbedingt von den Peripherien in die Zentren Europas hinein fortpflanzt. Nicht einmal schleichend, sondern erschreckend rapide.
Ein Blick in Nachbarländer könnte den freiheitsliebenden Ukrainern zeigen, wie die Praxis einer EU-Anbindung tatsächlich aussieht. Natürlich stellt man die Probleme, mit denen EU-Mitgliedsländer wie Rumänien und Bulgarien zu kämpfen haben, als Anfangsschwierigkeiten hin, wo die richtige Sache von hauseigenen Strukturen blockiert, sich aber à la longue schon durchsetzen werde. In Bulgarien und Rumänien haben die vom Westen befohlenen Rezepte nicht nur nichts an Korruption, Umverteilung und Verelendung geändert, sondern diese forciert. Die Ansprechpartner jeglicher Brüsseler Wirtschaftspolitik sind dort die Vertreter der freien Marktwirtschaft, die Oligarchen, ihnen wird die Distribution von Milliarden EU-Subventionen anvertraut. Hungertote, rasant angestiegene Arbeitslosenzahlen, Gesundheitssysteme auf Bangladesh-Niveau, Anstieg der Selbstmordraten etc waren die Folgen.
Seit über einem Jahr protestieren wütende bulgarische Bürger gegen ihre politische Klasse, das ist den westlichen Medien bestenfalls Kurzmeldungen wert. Schließlich wird hier nicht gegen die Fürsten des Bösen, sondern gegen die eigenen Satrapen protestiert.
Aktionsplan: Archivmaterial. Interviews mit Armutsbetroffenen und Regierungskritikern in Bulgarien und Rumänien. Sowie Osteuropa-Experten.
- PERSPEKTIVEN und WIDERSTAND
Ortswechsel. Ein anderer Frühling. Februar 2014 in Bosnien. Vor 20 Jahren hat ein Konflikt, dessen Dramaturgie der ukrainischen nicht unähnlich ist, zu einem der verhehrendsten Kriege des 20. Jahrhunderts geführt. Bosnien ist ein EU-Protektorat, das exakt das, was es zu bekämpfen vorgibt, zementiert, wenn nicht sogar forciert. Politische Ansprechpartner der „Internationals“ sind die jeweiligen Oligarchencliquen, die mit nationalistischer Separation die Bevölkerung in Geiselhaft nehmen.
Ein mächtige Säule der bosnischen Ökonomie ist das peace keeping business: Ein riesiger Apparat von Verwaltung und internationalen Militärs plus Investoren und über 12.000 NGOs (Stichwort: humanitäre Geldwäsche) schufen ein halbkoloniales Setting und eine Sykophantenökonomie, die irgendwie gar nicht dem Wunschbild der freien Marktkräfte gleichen will, sondern eher einem Rentenkapitalismus. Einer der Gründe, warum in Bosnien-Herzegowina ein Pilzmycel von 800 Politikern und 150 Ministerien gedeiht. So etwas wächst ganz von alleine, wenn es keine vernünftige Verfassung, aber viel Zucker aus dem freien Westen gibt. Politik bedeutet in Bosnien, und nicht nur dort, internationale Geldflüsse in den Whirlpool der eigenen Klientel umzuleiten
Sich der alles beherrschenden ethnischen Segregation unterzuordnen, ist die einzige Überlebensstrategie in einer Gesellschaft, in der auch soziale Sicherheit und das Recht auf Unversehrtheit privatisiert wurden. Politik vollzieht sich einzig und allein klientelistisch. Wohnraum, Hilfsgüter, Infrastrukturleistungen, Genehmigungen, Befreiung von oft willkürlichen Auflagen, Sozialleistungen werden nach Zugehörigkeit zu Machtnetzwerken verteilt, welche die Basis eines ethnisch segregierten Marktes bilden. So erzeugt man nationalistische Wähler, nicht durch Verbundenheit mit Allah oder dem Amselfeldmythos.
Bosnien zeitigte die fatalen Folgen einer „Ethnisierung des Sozialen“, mit der von allen Parteien auch in der Ukraine gezündelt wird.
Doch im Februar dieses Jahres passierte in Bosnien etwas Unfassbares, in einem Land, das man bereits als failed state, dessen Intellektuelle allesamt ausgewandert und geflohen waren und dessen Restbevölkerung entweder als politisch passiv oder national fanatisiert galt.
Von Tuzla breitete sich ein Aufstand über Bosnien aus, der die ethnischen Trennlinien nicht nur überwand, sondern als die Lügen zu erkennen gab, mit denen über 20 Jahre lang ihre wahren Interessen kaschiert wurden.
Erste Anzeichen dafür gab es 2012, als Kriegsveteranenverbände der Föderation Spenden für ihre ehemaligen Gegner in der Republika Srpska sammelten, nachdem beiden von den eigenen politischen Kriegstreibern auf Befehl des IWF die Renten gekürzt worden waren. Oder im selben Jahr bei den Gedenkfeierlichkeiten von Srebrenica, wo die Angehörigen der Opfer sowohl lokalen Politikern als auch Vertretern der internationalen Gemeinschaft erstmals das Rednerpult verweigerten. Als die es sich dennoch nicht nehmen ließen, wurden sie mit Pfeifkonzerten empfangen.
Diese Menschen redeten nicht nur von Demokratie, sie schienen sie selbst in die Hand nehmen zu wollen, forderten Expertenregierungen, Selbstverwaltung der Betriebe und Revidierung der Privatisierungen. Die nationalistischen Eliten ergriff schlicht die Panik, das erkannte man an der Hysterie, mit der sie sich durch Forderung ethnisch reiner Teilstaaten ihrer Schäfchen versichern wollten. Und in den westlichen Medien wurden verdächtig oft die Aufnahmen von zerstörten Autos und brennenden Verwaltungsgebäuden gezeigt, die diese Riots zur Folge hatten. Honni soit qui mal y pense. (Auch die Berichterstattung über die Riots in Großbritannien im Sommer 2012 legte ihren Fokus hauptsächlich auf Bilder der Zerstörung und Anarchie, was vor allem die brutale Gewalt rechtfertigten sollte, mit der die Bürgerrechte in Folge unterminiert werden sollten).
Der Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina bekundete seine Solidarität mit dem politischen Engagement der Demonstranten, drohte aber andererseits mit der Massierung von EU-Truppen. Auch wenn die Energien dieses kurzen Aufstandes schnell wieder verpufften, er hatte doch eine große Symbolkraft, denn bei seinen Akteuren handelte es sich nicht nur um blindes Wutbürgertum, sondern sie widerstanden der Verlockung, sich national oder rechts zu artikulieren, sie waren weder von russischer noch marxistischer Propaganda beeinflusst, es handelte sich um unmittelbare Demokratie, die Bereitschaft der Massen, sich nicht länger von der Achse Nationalismus/neoliberale Wirtschaftspolitik verarschen zu lassen. Es war eine andere Art von Demokratie als die Pseudo- bzw „Postdemokratie“ (Colin Crouch), an die wir uns als alternativlose Gegebenheit bereits gewöhnt hatten.
Der bosnische Frühling könnte sich noch immer zu einer kraftvollen sozialen Bewegung auswachsen, das würde nicht nur den Winter des Nationalismus, sondern auch den Herbst der internationalen Bevormundung bedeuten. Und so bleibt zu hoffen, dass die Flugsamen dieses bosnischen Frühlings ihren Weg in die demokratiepolitisch verelendete EU finden.
Aktionsplan: Archivmaterial zum bosnischen Frühling, Interviews mit Aktivisten zu Zielen und Programmen, Stimmungsbilder, Interviews auf jeden Fall mit den Vertretern der bosnischen Kriegsveteranenverbände, die für ihre serbischen „Kollegen“ Geld sammelten.
„WIE VIELE FRÜHLINGE NOCH“ soll von herkömmliche kritischen Polit-Dokus abweichen. In diesem Filmessay sollen trotz seiner Faktenlastigkeit Platz für Stimmungsbilder, Emotionen, konkrete Menschenschicksale sein. Nie soll sich der Filmemacher/Erzähler als bereits Wissender vordrängen, sondern Hypothesen, Zweifel, heiße Spuren sollen in einer stet vorwärtsdrängenden Handlung selbst Gestalt annehmen. Da aber nichts an der Farce neu ist, wäre es heuchlerisch, einen naive, noch nicht wissende Position einzunehmen. Als Gegenmittel empfiehlt sich leise Ironie, eine mitunter sarkastisch anmutende Kontrastierung von Wahrheit und Gegenwahrheit, unerwartete und überraschende Schnitte.
Auf jeden Fall muss die bloße Position eines Gegenstandpunktes zur kolportierten medialen Repräsentation vermieden werden. Es darf nicht mit einem reißerischen, wenngleich korrekten „Was wirklich dahintersteckt“ operieren, sondern sollte die mediale Wahrheit überbieten. Und dabei nicht auf einen subjektiven, interessegeleiteten Blick verzichten müssen (sofern jede Montage von Bildern und Texten ein selektives Narrativ ist, das eine bestimmte Form von Interesse transportiert). Deshalb muss aber jeglicher Verdacht prorussischer Haltung und marxistischer Gesinnung vermieden werden. Aus diesem Grund müssen Experten zu Wort kommen, die dessen völlig unverdächtig sind (z.B. Joseph Stiglitz, der schwedische Ukraine-Experte Anders Aslund, Uwe Kröger, Vertreter des Warschauer Centers of Eastern European Studies, keine marxistischen, sondern bestenfalls keynesianistische Wirtschaftsexperten), Leidtragende, Menschen von der Straße, Kulturschaffende in Ukraine, Rumänien, Bulgarien und Bosnien.
Von der Ergiebigkeit des Filmmaterials wird abhängen, ob kommentierende Off-Stimmen notwendig sein werden oder man überhaupt ein sich aus dem Material selbst erklärendes Feature gestaltet
„WIE VIELE FRÜHLINGE NOCH“ könnte ein „Michael Moore für Europäer“ werden, mit dem Unterschied, dass sich der Filmemacher nicht ständig selbst in Szene setzt und der Film weniger plakativ und tendenziös, dafür aber zugleich niveauvoller und in seinen künstlerischen Mitteln schräger operiert.