Jenseits des Bekenntniszwangs (2014)

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Man muss gar kein Putin-Freund sein ….

 

 

Wer aus dem Konsens über den Siegeszug der westlichen Werte in der Ukraine ausschert und den gedungenen Jubeljournalismus lächerlich findet, kann dies nur aus einem Grund tun: weil er dem virilen Charme Wladimir Wladimirowitsch Putins erlegen ist.

 

 

Ich muss vorausschicken, dass mir eine gewisse Putin-Sympathie unter manchen Linken stets peinlich war. Die infantile Identifikation mit dem medial geschürten Feindbild kreuzte sich da auf sonderbare Weise mit einer Kulturalisierung des ehemaligen Antagonismus von kapitalistischer und kommunistischer Welt. Das erinnert an Gérard Depardieus dumme Bekundung der Sympathie für Russland, in das der Millionär vor dem französischen Fiskus floh, die er damit begründete, sein Vater sei Kommunist gewesen. Dass der Westen den konzeptuellen Russen auch nach dem Untergang der Sowjetunion als das dämonisierte Andere zu brauchen scheint, um sich als das Happy End der Geschichte zu glorifizieren, verleitete diese Linke, deren Geschäft eigentlich die Kapitalismuskritik sein sollte, dazu, eine Bande autokratischer kapitalistischer Banditen in Moskau zu verniedlichen.

Zugegeben, auch das gibt es. In den Tagen des ukrainischen Frühlings aber gehört es zu den vorhersehbaren Schachzügen der „westlichen Propaganda“, Menschen, die angesichts des Putsches in der Ukraine nicht in Freude ausbrechen, als naive Opfer „östlicher Propaganda“ zu diffamieren. Besonders linksliberale Meinungs-Wurlitzer in den heimischen Qualitätsmedien sind es, die jene Grenze markieren, die geistigen Konformismus von weltfremdem Radikalismus zu trennen hat. Das liegt daran, dass auch sie in ideologischen Gegensätzen denken, die sie mit intellektueller Ausgewogenheit verwechseln, auf die sie dann aber alle festschreiben, die sich die Mühe machen, über das neoliberale Meinungsangebot hinauszudenken. Dabei zwingt sie niemand zu ihren Hymnen auf Demokratie und Freiheit in der Ukraine. Sie laufen nicht Gefahr, wie der Chef des ukrainischen Staatsfernsehens vom Leiter der Kommission für Redefreiheit im ukrainischen Parlament und dessen faschistischen Schergen zusammengeschlagen zu werden, nicht einmal um ihre Jobs brauchen sie zu bangen. Vermutlich ist es die Angst, in der Kaffeepause von den Kollegen der Wirtschaftsredaktionen als Putin-Liebchen oder – schlimmer – Linkslinke verspottet zu werden, die sie zum vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem imaginären redaktionellen Meinungskatalog treiben.

 

Und schon wieder die Faschismuskeule

 

So bekenne ich, kein Putin-Freund zu sein, wenn ich das ehrliche Freiheitsbedürfnis der meisten Maidan-Demonstranten nicht mit den geopolitischen und ökonomischen Interessen der NATO und des EU-Austeritätsregimes verwechsle; und ich bin kein Putin-Freund, wenn ich nach eingehendem Studium der Orangenen Revolution daran zweifle, ob es für die katastrophale soziale Lage der Ukrainer ein Unterschied ist, ob sie von Janukowitschs, Timoschenkos oder EU-freundlichen Oligarchen verarscht werden; ich bin kein Putin-Freund, wenn ich nach eingehendem Studium der Weimarer Republik den faschistischen und antisemitischen Drall dieses Umsturzes, der sich im Übergangskabinett in vier Ministern sowie einem Generalstaatsanwalt und einem Chef des nationalen Sicherheitsrats aus der Swoboda-Partei manifestiert, nicht als eine von der russischen Propaganda geschürte Lappalie halte, die sich mit den nächsten Parlamentswahlen erübrigen würde; ich bin weiters kein Putin-Freund, wenn ich bei allem Respekt vor den meisten Demonstranten und ihren Zielen nach Steuerung und Interesse frage, etwa durchs US State Department, die Konrad Adenauer Stiftung oder durch die serbischen Demokratiesöldner namens Otpor; auch bin ich kein Putin-Freund, wenn ich für möglich halte, dass – wie es der estische Außenminister Urmas Paet in einem Telefonat mit Catherine Ashton andeutete – während der Straßenkämpfe Demonstranten und Sicherheitskräfte „von denselben Scharfschützen erschossen wurden“, weil dergleichen eben einen Evergreen der Eskalierungstaktik darstellt.

 

Yats und Klitsch, Datscha und Kitsch

 

Und da wir gerade bei abgehörten Telefonaten sind: Bestimmt bin ich kein putin-freundlicher Verschwörungstheoretiker, wenn ich nicht im Geringsten darüber erstaunt bin, wie Frau Nuland vom US State Department und der US-Botschafter in der Ukraine, Pyatt, bei ihrem Telefongespräch schon vor dem Umsturz darüber befanden, wer in der Übergangsregierung zu sein habe und wer nicht, nämlich auf jeden Fall „Yats“ (so heißt der von der USA favorisierte Timoschenko-Technokrat Jaseniuk in der Diplomatensprache offenbar), während „Klitsch“ (so offenbar der Merkel-Mann Klitschko in diesem Jargon) „doch bloß draußen bleiben und seine politischen Hausaufgaben machen“ (Pyatt) solle, und dann – simsalabim – Yats Interims-Staatschef wurde und Klitsch außerhalb des Parlaments „seine Hausaufgaben“ machen musste; es lässt sich mir auch schwer Verliebtheit in Putin vorwerfen, wenn ich die TV-Bilder der kitschigen Holz-Datscha des geflohenen Präsidenten Janukowitsch als schockierendes Mahnmal der Ausbeutung des ukrainischen Volkes für schlechter gewählt halte als solche von Julya Timoschenkos (vermutlich nicht minder kitschigem) Palais, in das sie nun wieder einziehen durfte; und von wegen bin ich ein Putin-Freund, wenn ich Begriffe wie Freiheit und Demokratie so ernst nehme, dass ich sie nicht von einer Wirtschaftsmacht besudelt sehen will, die zugunsten des Bankensektors Millionen ihrer Bürger in Südeuropa und anderswo ins soziale Elend treibt und Berlusconi und Orbán duldet, solange die Geschäftsbasis mit ihnen solide bleibt; ja, ich bin nicht einmal ein Putin-Freund, wenn ich befürchte, dass ein EU-Assoziierungsabkommen zwar Europa nicht für die ukrainischen Bürger, wohl aber die Ukraine für europäische Waren öffnen wird und, wie es auch die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) weissagt, „enorme Anpassungskosten anfallen und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schießen“ würden. Ich bin mitnichten Putins Freund, wenn ich den Ukrainern empfehle, die segenreichen Folgen der EU-Integration in Rumänien und Bulgarien zu beobachten, wohin zwar viele „westliche Werte“ fließen, jedoch Korruption und – dank der aus Brüssel und Washington verordneten Sparmaßnahmen – Verelendung der Bürger sich massiv verschlimmert haben, und wenn ich den Tausch des Rechtes auf medizinische Versorgung gegen das auf Meinungsfreiheit nicht für einen zivilisatorischen Fortschritt halte. Man kann mir auch nicht nachweisen, ein Putin-Freund zu sein, weil ich den Kategorischen Imperativ von Swoboda-Chef Oleh Tjahnybol, der bei einer Parlamentsmehrheit zum Regierungsprogramm avancieren könnte, nämlich: „Schnappt euch die Gewehre, bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und andere Unarten“, nicht für einen russischen PR-Gag halte. Und nicht einmal bin ich ein Putin-Freund, wenn ich bei aller Kritik an der Annexion der Krim nicht verstehe, dass NATO und EU ihre Einflusssphären überallhin ausdehnen dürfen und Russland nicht, nur weil in ihren Ländern Pussy Riots nicht eingesperrt würden.

Unter uns: Ich kenne Putin gar nicht, und er mich nicht, und ich will gar nicht sein Freund sein. Nicht einmal auf Facebook. Vielleicht ist er privat sogar ein netter Kerl, aber ich will nun mal nicht Freund eines Mannes sein, der mit Schranz und Schröder befreundet ist.

In der Art und Weise aber, wie Putin dämonisiert wird, zeigt sich nicht nur, wie sehr ihn seine Kritiker zur Beschönigung der postdemokratischen Verfasstheit ihrer eigenen Gesellschaften brauchen, sondern in welchem Ausmaß ihr kritisches Bewusstsein von Pop-Ideologie gewaschen ist. Denn Putin ist auch nicht mehr als die institutionelle Fratze oligarchischer Machtinteressen innerhalb der russischen Politik, deren Moderator, deren Clowngesicht. Mit der naiven Personalisierung russischer Politik werten sie diesen ehemaligen Schreibtischhengst zu jenem titanischen Über-Judoka auf, als der er sich selbst verkauft und die Verkaufszahlen westlicher Schundblätter garantiert – und mit dem sich Russen, die vermutlich längst die Nase voll von ihm haben, dann trotzig identifizieren.

Kurzum: Man ist nicht zwingend Putin-Freund, wenn man versucht, um mehrere Ecken zu denken, als es die Freunde der totalen Verwertung gerne hätten.

 

 

Dieser Artikel erscheint im März 2014 im „Augustin“.

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