„Fuck Identity!“
Oscar Wilde war Sozialist, weil er die Hässlichkeit der Armut abschaffen und vollständige Selbstentfaltung ermöglichen wollte. Was ist Ihre Entschuldigung?
Ich halte mich da ganz an meine Umkehrung eines alten reaktionären Idiotenspruchs: Wer bis 30 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 30 noch immer nicht ist, hat weder Herz noch Hirn. Aber Wilde ist eine gute Spur, ein Gewährsmann für das eigentliche Ziel der freien Gesellschaft: die Entfaltung der Individualität, womit sich gleich indirekt die Genossen zu erkennen geben, auf deren Genossenschaft ich, wenn’s mal so weit wäre, verzichten könnte: die Büßer, Prediger, Korinthenkacker, Astheniker, Demütigen, Gemeinschaftssentimentalen, Pfäfflein und Pilgrim Fathers & Mothers, die der Sozialismus leider auch anzieht. Also nicht: Alle auf Wasser gesetzt, sondern: Champagner für alle! Ich glaube übrigens, dass Wilde, obwohl er Ästhetizist war, nicht nur die Hässlichkeit der Armut, sondern die Armut selbst, ob schön oder hässlich, abschaffen wollte.
Welchem Lager sind denn die linken Verfechter der Identitätspolitik zuzurechnen: dem des Puritanismus oder dem der Dekadenz?
Abgesehen davon, dass Identitätspolitik als einheitliches Phänomen und Distinktionsobjekt nur im liberalen und konservativen Feuilleton existiert, natürlich eher im Puritanismus. Was nicht heißt, dass ihre linken Kritiker weniger puritanisch wären. Ich werde versuchen, von der allegorischen Ebene wieder runterzukommen. Man muss aufpassen, mit dem Puritanismusvorwurf nicht in dieselbe Kerbe zu schlagen wie viele liberale Kritiker. Dann landet man plötzlich auf der Seite jener, die #MeToo als Ausdruck der Triebfeindlichkeit diffamieren wollen.
Wahrheit erlangt der Puritanismusvorwurf auf einer allgemeineren Ebene. Als vorhersehbares Phänomen einer spätkapitalistischen Krise, gegen die sich Menschen hinter individuellen und kollektiven Identitäten verschanzen. Bei den Rechten ist diese Tribalisierung evident. Viele linke Identitätspolitiker kidnappten die notwendigen Kämpfe diskriminierter Minderheiten, um diesen ihr Bedürfnis nach einem unverhandelbaren Moralsystem aufzunötigen. Das Problem aber ist nicht die Moral, konkret der Kampf gegen Unrecht, sondern eine Denkfeindlichkeit, welche die nüchterne Analyse von Herrschaft, die Distanz zum Objekt und zu sich selbst erfordert, als Herrschaftswissen diskriminieren will. Und Herrschaft auf metaphysische Setzungen von in Zeit und Raum konstanten Täter- und Opfergruppen reduziert. Das ist der puritanische Kern der Identitätspolitik: Wie der einstige Puritanismus Spiel, Ambivalenz und Mehrdeutigkeit verpönte, aus welchen die dialektische Denkmethode schöpfte, tendiert Identitätspolitik dazu, Gesellschaftskritik durch Glaubenssysteme zu ersetzen.
Viel weiter waren da die Analysen der Kritischen Theorie, wie Horkheimers großartiger Aufsatz „Egoismus und Freiheitskampf“, in dem er die puritanischen Tendenzen auch in linken Freiheitsbewegungen aufschloss, als Kompensation der bürgerlichen Vereinzelung etwa durch die Beschwörung von Gemeinschaft, die Camouflage des ökonomischen Eigennutzes durch rigide Verhaltenscodes. Also die Versuche, sich im unbegriffenen falschen Ganzen durch partikuläre Anerkennungskämpfe und richtiges Bewusstsein einzurichten. Daran sieht man, so sehr ihre Vertreter auch vom Kollektiv schwafeln, dass der Erkenntnisrahmen ein individualistischer bleibt.
Linke Identitätspolitik scheint ein Widerspruch in sich. Aber muss sich linke Politik nicht zugleich eingestehen, dass die Probleme, die die Identitätspolitik anspricht, mehr sind als Nebenwidersprüche?
Auf jeden Fall. In der Linken, in der ich mich politisiert habe, galten Sozialismus und die Forderungen diskriminierter Minoritäten nicht als Widersprüche. Aber vielleicht lag das daran, dass in der österreichischen Peripherie das linke Personal so klein war, dass man zusammenrücken musste. Und da es in Österreich an einer starken Zivilgesellschaft mangelte, wurde die Einheit von Sozialpolitik und minoritären Rechten zunächst obrigkeitsstaatlich umgesetzt. Vorbildlich darin war die legendäre Frauenministerin Johanna Dohnal. Mit dem von den Unis kommenden Siegeszug des Poststrukturalismus wurde der einstige Hauptwiderspruch nicht etwa zu einem Nebenwiderspruch degradiert, sondern überhaupt aus der politischen Agenda gestrichen.
Weil ich auf dem Laufenden bleiben will, habe ich kürzlich das vielbeachtete Buch „Zynische Theorien“ von Helen Pluckrose und James Lindsay gelesen, eine umfassende liberale Kritik der Identitätspolitik. Sehr detailliert und verdienstvoll fassen die Autor_innen deren Strömungen zusammen. Doch bei ihrer Kritik sind sie sich selbst des ideologischen Charakters ihres Liberalismus nicht bewusst und geben vielen der identitätspolitischen Positionen unabsichtlich recht. Geradezu amüsant sind ihre Eigentore mitunter. Ich, der ich oft aus dem Staunen über den Schwachsinn identitätspolitischer Verirrungen nicht herauskomme, sah nach der Lektüre einmal mehr die Legitimität zentraler identitätspolitischer Forderungen bestätigt. Beispiele: Die queerfeministische Verabsolutierung der gesellschaftlichen Konstruktion von biologischem Geschlecht wird als Anlass genommen, jede Diskussion darüber zu diskreditieren, inwiefern es wirklich nicht nur, aber auch kulturell überformt ist. Rassismus als Zentralschlüssel von Gesellschaftstheorie wird zu Recht als überspannt abgetan, aber gleichzeitig jeder Ansatz negiert, der sehr wohl strukturellen Rassismus in den Machthierarchien erkennt. Disability und Fat Studies leisten wichtige Kritik einer normopathischen Schönheits- und Gesundheitsideologie. Pluckrose und Lindsay affirmieren diese, indem sie sich z. B. auf extreme Adipositas versteifen, um jeglicher Form von Nicht-Schlankheit wegen ihrer angeblichen gesundheitlichen Gefahr eine positive, widerständige Identität zu verweigern. Dabei weisen Fortschritte in einer zunehmend individualisierten Ernährungsphysiologie und Medizin darauf hin, dass das, was statistisch als Übergewicht moniert wird, schlicht die genetische Ausstattung von Menschen sein kann und nicht in jedem Fall gesundheitsschädlich sein muss. Und so weiter und so fort. Exemplarisch tun sie, was sie der Identitätspolitik vorwerfen: ihre Standpunkte als Norm gegen Kritik zu immunisieren.
Das Problem ist: Die Spiegelfechtereien zwischen einer liberalen Identitätspolitik und ihren liberalen Kritikern aus dem Mainstream inszenieren sich dank ihrer medialen Möglichkeiten als hegemonialer Streit unserer Zeit, und verdecken dabei, dass an der Basis weniger schrill und weniger sichtbar vernünftigere Formen minoritärer Politik gemacht werden, die auch den ideologisierten Gegensatz von Klassenkampf und Lifestylelinken nicht immer, aber oft als Scheinkonflikt zu erkennen geben. Diese Vernunft einer sozialistisch-minoritären Allianz muss durch Aufklärung ihr Terrain zurückerobern, und zwar indem sie sich weder vom völkischen Pseudosozialismus Wagenknechts noch vom liberalen Feuilleton instrumentalisieren lässt. Die absurden Auswüchse der Identitätspolitik haben Aufmerksamkeit und Karrieren gestiftet, aber werden wie jede Mode wieder verschwinden. Einer der wenigen Fälle, wo ich optimistisch bin.
Linkssein ist, vor allem seit die Aussicht, an den Verhältnissen etwas zu ändern, so gering ist, frustrierend und einsam. Ist Identitätspolitik auch deshalb so beliebt, weil sie einen Widerspruch artikuliert, der zumindest Aussicht auf Erfolg (im Symbolischen) hat? Und: Gibt es noch andere Gründe für die Zahlreichen linken Abschiede in die Identitätspolitik?
Möglich. Wobei mir die Selbstverständlichkeit, mit der man sich auf lediglich einen emanzipatorischen Schauplatz beschränkt (auch wenn es der ist, auf dem sich die eigene Diskriminierung abspielt) suspekt ist. Alles tendiert zu Segregation und Relativismus. Wahre Emanzipation würde die Überwindung der provisorischen Kampfidentitäten zum Ziel haben, da es ihrer im Idealfall nicht mehr bedarf. Das wird’s aber nicht spielen (ist zwar eine Floskel, aber ich dachte, es macht den Text kolloquialer. Ansonsten: Das wird aber nicht eintreten. R. S.). Denn diese Identitäten dienen dem lebensweltlichen Design und gerinnen ihrer Natur gemäß zur Essenz.
Man kann sich bis in alle Ewigkeit Witze ausdenken über eine Radikalität, die sich darin erschöpft, Sweatshops, Grenzschutzorganisationen, Foltergefängnisse, Hedgefonds und Telenovelaproduktionen diverser, bunter und mit Awareness zu besetzen, die Grundkritik bleibt die gleiche.
Ich sehe kaum linke Abschiede in die Identitätspolitik, eher linke Initiationen in diese. Sie spricht vor allem linke Novizen an, deren Ungerechtigkeitsempfinden und das Bedürfnis nach identitärer Verortung. Also sehr junge Menschen, bei denen moralische Empörung das wichtigste Movens ist und die eine verrückt komplexe Gesellschaft kognitiv mit eindeutigen Täter-Opfer-Dichotomien zu ordnen versuchen. Was notwendiger Einstieg in kritisches Denken wäre, bleibt aber regressives Wesen einer konformen Gesellschaftskritik.
Sozialpsychologisch ist IP deshalb so attraktiv, weil es das passgenaue politische Bewusstsein für den vorherrschenden Narzissmus bereitstellt. So lassen sich, ohne sich mit Materialismus, Soziologie und Geschichte aufzuhalten, die persönlichen Befindlichkeiten, zwischen Kränkung und Allmachtsfantasien, in eine progressive politische Matrix übertragen. Natürlich stammen viele ihrer Aktivist/innen aus dem akademischen Milieu und dem der Kunstunis, aus dem oberen Mittelstand, wo das Sein noch so sorgenfrei langweilig ist, dass man sich lieber im Bewusstsein, also im Konstruieren von Identität verliert. Dass sie die Grundfeste der Gesellschaft unangetastet lassen und einzig darin ihren Platz an der Sonne finden wollen, beweist, wie arglos sie sich der kulturindustriellen Mittel von Pop und Glamour bedienen. Ein kritisches Außen zur Kulturindustrie existiert nicht mehr. Essenzialismus macht es möglich, dass sie sich als einzig legitime Repräsentanten minoritärer Gruppen inszenieren. Wie bei der Volksgemeinschaft gibt es keine Klassenunterschiede innerhalb ihrer Gruppen. Außer modischen Lippenbekenntnissen scheren sie sich nicht wirklich um soziales Gefälle, und die unteren Einkommen der Gruppen, die sie zu repräsentieren glauben, scheren sich nicht um die diskursiven Shows dieser Volkstribunen. Alles an den minoritären Forderungen wäre richtig, außer der Emotionalisierung, der Individualisierung, der Moralisierung und der Essenzialisierung, mit denen viele ihrer Vertreter diese ansonsten würdigen Kämpfe versauen.
In Ihrem Buch fordern Sie: „Friede den Palästen der Hybridität, Krieg den Hütten der Identität.“ Eine Umdrehung des sozialistischen Mottos Georg Büchners. Das klingt durchaus postmodern. Fordern Sie eine Identitätspolitik ohne Identitäten?
Auch bei der neomarxistischen Linken spüre ich diesen moralischen und folglich identitären Fetisch der Gemeinschaft. Da sind wir wieder beim Puritanismus und bei Oscar Wilde. Es geht im Sozialismus darum, Individualität vom Zwang zur Gemeinschaft zu befreien, bzw. deren Organisation zur freien Wahl werden zu lassen. Altruismus und Egoismus würden vom Zweck des Überlebenskampfes entbunden. Niemand braucht mehr seine Familie, Nachbarn, Sprachgruppe oder seinen Tauschkreis lieb zu haben. Der Unterschied zwischen Gesellschaft und Community scheint heute nicht mehr richtig verstanden zu werden.
Ich beziehe mich bei meinem Spruch auf Salman Rushdies Eloge auf die Hybridität. Lasse aber auch nicht unerwähnt, dass diese Hybridätstrunkenheit ein elitäres Programm ist, das sein Freiheitsversprechen erst nach der materiellen Befreiung des Menschen einlösen kann. Bis dahin bleibt es für die materiell Sorglosen die Freiheit des monadischen Selbstdesigns, für die Hamster im Tretrad aber die ideologische Ermunterungsmusik für erzwungene Flexibilität am Arbeitsmarkt. Was nicht heißen soll, dass sich diese Gegensätze nicht überschneiden können.
Wie immer man zu den vielen Strängen der Postmoderne steht, das Interessante ist, dass sich die IP als praktische Fortsetzung der Postmoderne aus dieser nur das geliehen hat, was sie brauchen konnte: Und zwar das Dümmste, das Gescheiteste aber wegschmiss. Vom oft zynisch-ironischen Skeptizismus, der Dekonstruktion von Identitäten und jeglichem Essenzialismus blieb nichts übrig. Weitergeführt hat sie den Hass auf Universalismus und verbindliche Wahrheitsansprüche, den Kulturrelativismus und das ganze Spiegelkabinett symbolischer Repräsentanz. Bei der Hintertür kamen auch Authentizität und Essenz wieder rein. Das kann der Faschismus aber besser. Sehr komisch ist die Wiederkehr des Konkretismus. Sie reden poststrukturalistisch (weil das Überlegenheit lukriert), meinen es aber oft naiv-realistisch. Der Jargon, mit dem man sich einst Ideologiekritik und großen Erzählungen überlegen fühlte, wird beibehalten, der Inhalt fällt aber hinter diese zurück. Sie tun so, als wären color und race relationale, symbolische Kategorien, meinen aber wirklich die Hautfarbe. Nicht einmal die schlaueren Rassisten tun das.
(hier habe ich einen ganzen Absatz gelöscht, denn der bedürfte einer genaueren Analyse. R. S.)
Nie werde ich den mit fröhlicher Wut und als Trinkspruch deklamierten Slogan einer Freundin vergessen, die gerade dem ethnischen Wahn des Kosovokriegs entkommen war: „Fuck identity!“ In ihrem Fall war das mehr als eine modische Attitüde. So einfach klingt es, aber es bleibt der Kern jeder Emanzipation. Identitäten sind säkularer Religionsersatz. Gleich ob Ich- oder Wir-Illusion: Opium des Volks und fürs Volk. „Konsumfreudige Citoyens“ feiern die Hybridität, ihre Kritik der Identität ist jedoch Symptombekämpfung. Es gilt aber die Verhältnisse zu erkennen und zu bekämpfen, die Identitäten schaffen. Bis dahin ist das liberale Lob der Paläste der Hybridität ein probates Gegenlied zu den Psalmen, mit dem die Wellblechhütten der Identität besungen werden. Bis dahin gilt es, Safe-Spaces für die Nicht-Identität zu schaffen.
Ihr Buch ist keines der üblichen Pamphlete, sondern ein „identitätspolitisches Lesebuch“, in dem sich verschiedenste Textformen, Cartoons und Collagen dem, was gemeinhin unter dem Label Identitätspolitik diskutiert wird, nähern. Warum diese Form?
Als ich mich letzten Sommer hinsetzte, um einen längeren Essay, vielleicht ein Buch, dazu zu schreiben, war ich mit meinen Skizzen ziemlich unzufrieden. Ich hatte das Gefühl, dass alles, was ich sagen wollte, schon gesagt war. Von anderen, und, zu meiner Überraschung, von mir selber. Verdrängt oder vergessen hatte ich, dass ich in den letzten fünf Jahren gar nicht so wenig dazu publiziert hatte, und meine älteren Texte zu Nationalisierung und Identität nichts an ihrer Aktualität verloren hatten. So ersparte ich mir die Schinderei des Eigenplagiats und beschloss, eine Anthologie, ein Lesebuch herauszugeben, worin auch meine Cartoons und Bildcollagen Platz fanden. Das hat den Vorteil, dass ich keine konzise Thesenliteratur produzieren musste, sondern ein Mosaik zusammenstellen konnte, mit vielen fehlenden Stellen, und dass ich vermutlich nicht weniger Fragen aufwarf, als ich beantworten konnte. Möglich, dass manche nichts darin finden, was nicht auch andere schon reflektiert haben. Ich kann bloß garantieren, dass mein Buch lustiger ist.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie sich als Rüpel. Beschreiben Sie damit Ihre psychische Disposition oder eine politische Haltung?
Ich bin sanft wie eine Fledermaus. Im Vorwort provoziere ich bloß die Hypersensibilität, die viele Wokies zu einem politischen Programm stilisieren. Die lädt natürlich dazu ein, den Hooligan zu markieren, der man als Jugendlicher nie war. Man prahlt nicht mit seiner Verletztheit, man macht sie beredt. Rollenklischees hin, Stereotypen her, niemand findet Heulsusen – und -susians sexy, außer sie einander. Dann ereilt sie aber in solcher Abkapselung das Schicksal der Sachsen, die sich auch nur untereinander paaren können. In parodistischer Übertreibung stell ich mir diese emotionalen Erpresserbrigaden wie die Körperfresser im gleichnamigen Film vor, die einen umzingeln und unisono weinerliche Alarmsignale absondern, und schon tut es einem leid, dass es einem leid getan hat, denn schon fallen sie über dich her und nagen dich bis an die Knochen ab. Wenn sie einen wenigstens gewitzt beleidigen könnten, aber sie beleidigen sich bloß selber mit vorgestanzten Worthülsen, weil sie wissen, dass man Roboter nicht schlagen darf.
Ich brauche keinen Correctness-Knigge, um zu wissen, dass man Menschen nicht demütigt und Witze über Benachteiligte und diskriminierte Minderheiten nicht Meinungsfreiheit bedeuten. Und natürlich: Geliebt wird man dort, wo man Schwäche zeigen kann, ohne Stärke zu provozieren. Aber weder ist es mein politisches Programm, von der Gesellschaft geliebt zu werden, noch gibt es herrschaftsfreien Diskurs mit der Herrschaft. Weil diese totalitären Weicheier ihre psychische Innenausstattung zum Megaphon ihres Weltverständnisses machen, werden die schönsten literarischen Waffengattungen des reflexiven Widerstandes – geistreiche Invektive, Sarkasmus, Spott, Ironie, Polemik – auf den Index gesetzt, als Charakterproblem pathologisiert oder als toxische Männlichkeit markiert. Wobei es nichts Frauenfeindlicheres gibt, als diese Formen zu maskulinieren. Die Fähigkeit dieser Eigentlichkeitsautomaten, zwischen Mensch und Rolle, zwischen Ernst und Spiel zu unterscheiden, geschweige denn die 80.000 Schattierungen dazwischen, deren Erfassen letztlich Denken und Spontaneität bedeutet, ist verdorrt.
Aber wer Correctness sät, wird Lisa Eckhart ernten, und all die anderen doofen Tabubrecher. Wie jedes Kind weiß, ist diese Betulichkeit Heuchelei, heimlich gehen auch die Wokies in den Kabarettkeller lachen. Aber auch dort zählt die Sprecherposition und nicht die Qualität des Witzes, ob der schlechte Witz von Privilegierten oder Minderprivilegierten kommt, also ob er Herrschaftslustigsein oder Selfempowerment ist.
Ich bin ein Rüpel in dem Sinne, dass ich mich von linker Seite permanent dem Vorwurf ausgesetzt fühle, dass ich den Obersturmbannführer zum Weinen gebracht habe, die Konzernchefin vor mir in einem Safe Space verwahrt werden muss, und ich schlimmer als Churchill bin, wenn ich den Maharadscha kritisiere. Sobald ich den Ministerpräsident Israels zum Weinen bringe, maßregelt mich komischerweise niemand. Aber das ist eine andere Geschichte …